Vor fünf Jahren kam ich nach Berlin. Ich war jung naiv, hatte gerade meinen Bachelorabschluss und ein aufregendes Praktikum hinter mich gebracht. Was ich genau in Berlin wollte, wusste ich auch nicht, Hauptsache Berlin. Also schnell eine Zwischenmiete und ein neues Praktikum besorgt und los ging das Abenteuer.
Beziehungen hatte ich bis dahin schon einige. Und mit Beziehung meine ich nicht das klassische Bild: Ein Mann, eine Frau, fertig. Auch das gab es, aber in der Regel, war bei mir alles immer ein bisschen aufregender, ein bisschen komplizierter.
Mein Berlin-Dasein begann ich mit meiner Fernaffäre nach Leipzig, die sich kurze Zeit später in Luft auflöste.
Wenn ich auch karrieretechnisch in Berlin zunächst keinen Fuß auf den Boden brachte, so veränderte jetzt zum ersten Mal ein Mann mein Leben grundlegend.
Erst unbemerkt und dann wie ein Blitz trat er in mein Leben.
Hatten mich alle vorherigen Beziehungen zweifelnd und ängstlich gemacht, so war er derjenige, der es schaffte, mir diese Ängste zu nehmen, weil er mich scheinbar in allem aufzufangen vermochte. Wir teilten alles, wir zogen zusammen, ich fand einen Job, der mich erfüllte. Mein Leben schien endlich eine positive Wendung zu nehmen, alles schien perfekt.
Heute weiß ich, dass in diesem Moment eine Zeit meines Lebens beginnen sollte, die mich zwar maßgeblich veränderte, aber nicht nur im Positiven, sie brachte mich teilweise dazu, mich selbst zu verlieren.
Zunächst trugen wir wochenlang nur die rosarote Brille. Es gab nur noch uns, was nicht überall gut ankam. Doch schon bald kamen erste Streitereien, wir versuchten einander zu optimieren, wir passten uns an, schlossen Kompromisse, mit denen wir eigentlich nicht glücklich waren. Hatte ich mir am Anfang der Beziehung noch eingeredet, mit ihm wären alle meine Probleme gelöst, so holten sie mich nach und nach wieder ein. Ich fühlte mich unwohl, unverstanden und allein, obwohl ich ihn doch immer um mich hatte. Dennoch war da ein Gefühl von Sicherheit und ich war überzeugt, das uns nichts trennen kann.
Doch häuften sich die Momente, in denen ich einfach nur heulen wollte. Mir fehlte etwas und ich konnte es nicht benennen.
Nach knappen zwei Jahren dann der erste Knall: eine Bekanntschaft beim Badminton gab den Anlass. Sie begannen sich zu treffen, immer häufiger. Doch er beteuerte, es habe nichts zu bedeuten. Und plötzlich wollte er mich verlassen. Warum? Das mit uns ginge nicht mehr, all meine Probleme…es war zu viel. Offensichtlich witterte er die Chance, in ihr etwas Besseres, etwas Perfekteres zu finden, weil ich es mit all meinem Ballast, all meinen Macken nicht mehr war.
Meine Welt bracht zusammen, aber nur kurz. Schon zwei Tage später stand er wieder vor meiner Tür. Ich war erleichtert. Wir versprachen uns, was wir alles besser machen wollten und ich freute mich, dass ich mich nicht mehr mit all den negativen Dingen auseinander setzen musste.
Alarmsignale und gute gemeinte Warnungen von Freunden und Familie ignorierte ich. Auch wenn mir in dieser Zeit zum ersten Mal klar wurde, wie sehr ich mich von mir selbst entfernt hatte. Aber ich wollte diese Beziehung um jeden Preis.
So ging alles weitere neun Monate gut. Bis wieder der Satz kam „Ich bin so unzufrieden, ich bin nicht mehr glücklich“. Und wieder stieg Panik in mir auf. Ich zwang uns zu einer Auszeit, in der ich feststellte, dass ich ihn nicht mehr wollte. Ich wollte lieber allein sein, als ständig Angst haben zu müssen, ständig kämpfen zu müssen. Unter Tränen beendeten wir die Sache im Guten und er zog aus. Doch wirklich Schluss war noch lange nicht. Die Gewohnheit und die sexuelle Anziehung ließen uns immer wieder zusammen kommen. Wir liebten uns und wir fügten und gegenseitig unglaubliche Schmerzen zu. Wir testeten unsere Grenzen mit egoistischen Alleingängen, Lügen und Verletzungen. Doch irgendwas hielt uns noch immer zusammen. Ein Tapetenwechsel und lange Gespräche führten schließlich dazu, dass wir es noch einmal versuchten.
Die rosarote Brille war wieder da. Wir waren unbeschwert und bildeten uns ein glücklich zu sein und so erwachsen, weil wir alle Probleme aus der Welt geschafft hatten und nun eine perfekte Beziehung führten. Drei Monate später folgte die unglaublich romantische Verlobung. Zehn Monate später wurde geheiratet. Ich muss gestehen, die Zeit bis dahin war nahezu perfekt, mit kleinen Tiefen, aber es klappte und ich erhoffte mir mit der Hochzeit endlich die Sicherheit, die ich immer haben wollte. Und (ja es ist kitschig) es war wirklich der perfekte Tag.
Nach der Hochzeit ging es dann stetig bergab. Ich merke es zunächst gar nicht, aber die alte Unzufriedenheit, das Gefühl, dass etwas fehlt, war wieder da. Ich konnte nicht mit ihm sein und vermisste ihn gleichzeitig, so sehr, dass es weh tat, wenn er nicht da war. Warum ich ihn vermisste? Weil ich jedes Mal Angst hatte, er würde nicht zurück kommen. Die Vergangenheit und die Gedanken holten mich immer wieder ein. Wieder passierte, was schon zweimal passiert war: eine neue Frau trat in sein (bzw. unser) Leben, die neue vermeintliche beste Freundin. Ich prophezeihte ihm, sie würde ihren Freund verlassen und sich in ihn verlieben. Heute weiß ich, dass ich wohl sowas wie eine Hellseherin bin.
Vier Monate nach der Hochzeit, versuchten wir der Ehe noch einmal einen Kick zu geben und wollten schwanger werden. Jetzt kann ich beruhigt sagen: schön, dass es nicht geklappt hat.
So schleichend wie es kam, entlud sich dann fünf Monate nach der Hochzeit alles in einem lauten Knall. Es war ein Trauerspiel mit vielen Tränen, verzweifelten Versuchen an dem festzuhalten, was schon längst nicht mehr funktionierte, vielleicht nie funktioniert hat.
Im Nachhinein betrachtet war das die schwerste Prüfung meines Lebens. Ich musste mir selbst eingestehen, dass diese ach so perfekte Beziehung es nie war und das die Hochzeit ein verdammter Fehler war. Diese viereinhalb Jahre hatten mich verändert, sie hätten mich beinahe zerstört. Dieser Mann hatte es geschafft, dass ich mein Selbstbewusstsein verlor, dass ich nur noch Frauchen sein wollte, immer darauf bedacht es ihm rechtzumachen. Und nicht einmal das wusste er zu schätzen. Wie denn auch? Ich war lange nicht mehr die Elli, in die er sich verliebt hatte. Und wir beide waren nicht die, die wir gerne sein wollten. Er war auf der ewigen Suche nach der perfekten Beziehung. Dabei war er mit sich selbst nicht in Reinen. Doch darüber sprechen konnten wir nie. Immer wieder nagte eine Unzufriedenheit an ihm, die er nicht benennen konnte, die er immer damit befriedigen wollte, dass er sich an jemanden band, um den er sich kümmern konnte und wenn er das nicht mehr aushielt, musste eine Veränderung her. Und so kam es, dass er nun mit dieser Freundin zusammen ist, so wie ich es vorhergesehen hatte.
Die Erkenntnis, dass er sich so schnell von mir lösen konnte, von MIR – seiner Ehefrau – brach mir das Herz. Wir hatten uns doch ein Versprechen gegeben. Und dennoch spürte ich Erleichterung und Dankbarkeit. Der Moment der Trennung schenkte mir meine Freiheit zurück und es folgten Wochen und Monate voller Erkenntnisse – schmerzhafte und wundervolle.
Ich bekam mein altes Selbstbewusstsein zurück, es wurde sogar noch größer und ich testete die Wirkung in meinem Umfeld. Ich meldete mich bei Ok Cupid an und begann Männer zu daten. Und ich hatte verdammt viel Spaß dabei. Ich lernte mich selbst neu kennen, mich als offene, selbstbewusste, individuelle Person, die Vertrauen sucht, die Abenteuer braucht. Ich lernte Neues über meine Sexualität. Ich lernte meine alten Freundschaften neu kennen und schätzen, ich wurde dankbarer als je zuvor über meine wundervolle Familie. Und ich hatte unglaubliche Freude an neuen Begegnungen und neuen Beziehungen.
Das klingt nun alles, als wäre es der totale Wow-Effekt gewesen, die Ehe zu beenden. Nein, das war es ganz und gar nicht. Ich habe unter all dem sehr gelitten. Ich habe mich selbst in Frage gestellt, mein Leben und meine Entscheidungen angezweifelt.
Ich bin an meine Grenzen gegangen, emotional und körperlich. Wollte mich einerseits spüren, mich andererseits betäuben. Schlug mir die Nächte um die Ohren, betrank mich maßlos, nahm mit, was ich bekommen konnte. Ich war wütend und traurig wie nie zuvor und wir hätten uns mit unserem Stolz beinahe gegenseitig zerstört.
Die Erkenntnis, dass dieser Mann, mit diesem verdammt starken Ego, mich so verbiegen konnte, dass ich fast fünf Jahre meines Lebens verschwendet habe, dass ich durch ihn solche Demütigung erfahren habe, besonders nach der Trennung (Anmerkung: Friedliche Trennungen sind ein Märchen, so etwas gibt es einfach nicht. Eine Trennung muss schmutzig sein und weh tun, sonst kann man auch gleich zusammen bleiben) schmerzt noch immer, vielleicht wird es auch immer so sein. Aber es wird besser und Wunden verheilen. Manchmal spüre ich sogar Dankbarkeit. Wäre er nicht so ein verdammt egoistisches, respektloses Arschloch gewesen nach der Trennung, wäre es mir sicherlich noch schwerer gefallen. Jetzt denke ich mir oft, dass ich schon bei der ersten Trennung schlau genug hätte sein sollen, oder besser gesagt stark genug, mich von ihm zu lösen. Aber sowas sagt sich im Nachhinein leicht.
Mittlerweile habe ich vier ganz wundervolle Beziehungen. Alle vier sind so unterschiedlich und jede ist anders intensiv. Und genau deswegen liebe ich sie. Eine monogame Beziehung kommt im Moment nicht in Frage.
Seit der Trennung war der Weg hart und steinig, aber gleichzeitig so aufregend wie nie zuvor. Jeder Tag ist ein Abenteuer und das ist genau das, was zu mir passt.
Wie diese Beziehungen aussehen, was sie ausmacht und was ich sonst noch alles erlebt habe, werdet ihr in einem meiner nächsten Beiträge hier lesen.
Ein Gedanke zu “Das Ende, oder wie alles begann”