Ich habe eine neue Dating-App getestet. Hinge. Aus Neugier und natürlich auch, weil ich ja irgendwie immer noch sowas wie die große Liebe suche. Wobei, nein, das stimmt nicht. Ich glaube im Grunde nicht mehr wirklich an diese „Große Liebe“. Ich suche eine*n Partner*in. Eine Person, die loyal ist, der ich vertrauen kann, die mir Halt gibt und die ich zu halten vermag. Ist eigentlich nicht zu viel verlangt, oder?
Und da ich nicht warten will, bis diese Person mir irgendwann irgendwo zufällig über den Weg läuft und ich sie dann womöglich auch noch übersehe, habe ich mir mal wieder eine Dating-App installiert. Hinge wirbt damit, dass man die große Liebe findet und dann keine Apps mehr braucht. Außerdem soll mit Ice-Breakern der erste Kontakt erleichtert werden. Wenn ich Leute nach ihren Hinge-Erfahrungen frage, sagen sie, es (also die Menschen dort) wäre realer als Tinder und Co. Naja, meinetwegen.
Bei mir ist das mit Dating-Apps eigentlich immer gleich. Ich nutze die kurz, erstelle ein halbwegs kreatives Profil, was neben tollen Selfies auch irgendwie zeigen soll, dass ich nicht nur meine äußere Hülle bin. Dann wische ich ein paar mal hin und her und fange irgendwelche Konversationen an. Oft verlaufen die sich relativ schnell wieder im Sand. No gos sind bei mir: Monogamie, Leute, die offensichtlich Drogen konsumieren oder auf jedem zweiten Bild am Trinken sind und Profile, die außer komischen Bildern absolut keinen Inhalt haben. Ansonsten glaube ich, ein ganz gutes Gespür für Menschen zu haben und merke, wenn mir die Konversation nichts bringt, es nicht flowt und mir relativ schnell das Interesse flöten geht. Meistens habe ich das Glück und treffe auf irgendwen, mit dem ich dann relativ schnell eine Connection aufbaue. Wenn der da ist, ignoriere ich die App und sämtliche Anfragen, weil ich sonst einfach krass überfordert bin. Ja, das mag ein absolutes Luxusproblem sein: Aber ich bekomme dann eben so 500 Likes in der Woche, wo soll ich da anfangen? Und viele sind dann nun mal leider (so meine Erfahrung) auf mein Äußeres fixiert, klar… also das fällt nun mal ins Auge. Aber das kann eben auch sehr anstrengend sein. Ich heule deswegen echt nicht rum, aber ein hübsches Gesicht ist für mich andersherum eben einfach nicht alles… wird klar, was ich hier meine?
Also es war diesmal auch wieder wie immer. Aber tatsächlich hatte ich, als ich in Riga war, plötzlich ein interessantes Match. Dort hatte ich eben auch Zeit und war entspannt. Was mich gecatched hat? Ein ganz sweetes Profilbild, ein Typ, der sich pansexuell definiert, die Aussage, er stehe auf frische Bettwäsche und ein Statement, was erahnen ließ, dass er über ein gutes Maß an Feminismus verfügt und reflektiert ist. Und dann sind wir ziemlich schnell in deepen Talk über alles Mögliche eingestiegen. Es wurde irgendwie nicht langweilig. Und er machte zwar mal ein Kompliment zu meinem Profilbild, wir redeten auch über Sex, aber es war nie zu viel, zu aufdringlich oder irgendwie so, dass es mir unangenehm wurde.
Ich hatte mir außerdem vorgenommen, nicht zu schnell, zu viel von mir preiszugeben. Als wir dann eines Abends das Theme Trinken anschnitten, wurde ich nervös. Er trank offensichtlich ab und an gerne und feierte auch. Aber es schien jetzt auch nicht so, dass er ein Problem mit Alkohol habe. Ich legte also die Karten auf den Tisch und er reagierte richtig super und ganz gelassen. Ich war erleichtert, dass ich bei dem Thema jetzt schon mal offen sein konnte.
Wir vereinbarten auch relativ schnell ein Date, was dann nach einer Woche stattfinden sollte. Mit jedem Tag wurde ich aufgeregter. Vor allem war da viel Vorfreude, weil ich ihn einfach so vom Schreiben her schon extrem mochte. Und ich wünschte mir innerlich sehr, er möge mich beim ersten Treffen dahingehend nicht enttäuschen. Ich meine, ich hab schon viel erlebt in der Hinsicht. Wir trafen uns also Sonntag zum Spaziergang und siehe da: Ich wurde wirklich nicht enttäuscht. Wir hatten direkt den Flow vom Schreiben und konnten über alles Mögliche reden. Die Gespräche waren sehr ausgewogen und einfach angenehm. Wir gingen danach noch gemeinsam etwas essen und dann trennten sich unsere Wege wieder. Die Option noch bei ihm einen Film zu sehen, lehnte ich an dem Tag ab, hauptsächlich, weil ich nicht so ganz fit war.
Alles in allem war das Date super schön und ich war zufrieden, dass es so normal und unaufgeregt war. Also ohne Enttäuschung, aber auch ohne heftige Schmetterlinge und zu viel Euphorie.
Und dennoch war da in mir ein unruhiges Gefühl, was mich irgendwie nicht in Ruhe lassen wollte. Und das lag nicht an ihm oder an dem Treffen, das lag an Erwartungen an dieses Date und an mich. Ich war zuvor aufgeregt, weil ich Performance-Angst hatte. Ich konnte mir keinen Mut antrinken, wie ich es sonst immer getan hatte. Obwohl ich meinen Körper gerade ganz gerne mochte, war ich im Vorfeld wieder extrem kritisch mit mir. Und natürlich hatte ich mir Gedanken darüber gemacht, was es bedeuten würde, wenn ich mit zu ihm ginge, um diesen Film zu sehen. Und ich hatte mir vorher gesagt, dass ich nichts tun müsse, von ich nicht 100 % überzeugt war, es tun zu wollen. Aber es gab noch immer eine Stimme in meinem Kopf, die mir etwas anderes einreden wollte. Es lag absolut nicht an ihm. Er gab mir dieses Gefühl nicht. Das kam aus mir, von meinen Erwartungen und Erfahrungen. Etwas in mir sagte mir, es gehöre dazu, mit ihm zu schlafen, wenn wir schon bei ihm wären. Und das ist so verdammt ambivalent, weil es zugleich eines meiner heftigsten Traumata triggert.
Hinzukam, dass er nicht ganz so aussah, wie auf seinen Bildern. Was okay war, er gefiel mir trotzdem. Aber irgendwie spürte ich so eine Enttäuschung, auch weil ich dachte, ich müsse sofort im ersten Moment krass begeistert sein und „entscheiden“, ob ich mit ihm schlafen wolle.
Also ich meine, wer sagt denn sowas?
Tatsächlich lagen diese kruden Gedanken so ein bisschen wie ein leichter Schleier über dem Treffen, der mich immer wieder ablenkte, was mir selbst super leid tat und mich auch irgendwie stresste.
Zurück zu Hause fühlte ich mich vollkommen übersättigt. Zum einen war da viel, worüber wir gesprochen hatten. Natürlich wühlt man da auch immer ein bisschen in der eigenen Geschichte. Zum anderen waren da diese Gedanken, die mich störten. Weil sie eben absolut nicht der Realität entsprachen. Oder sagen wir es so: nicht dem Gefühl, was er mir in Wirklichkeit gab.
Ich habe dann lange nachgedacht und war tatsächlich die folgenden Tage echt durch den Wind und sehr emotional, gestresst, traurig, wütend und ängstlich. Ich mochte ihn, das stand fest. Zugleich hatte ich große Angst vor Ablehnung, davor zu viel zu sein, nicht gesehen zu werden… eben der ganze Abfuck, den ich schon durch hatte. Und eine kritische Stimme in mir rief immer wieder, ich solle es doch einfach lassen, dann hätte ich auch keinen Stress. Die Wut, die ich empfand, richtete sich auf alle meine Peiniger. Zugleich versuchte ich, mich zu beruhigen. Ich redete mir gut zu und sagte mir immer wieder, dass die Gegenwart anders aussehen würde. Und er ist nicht die anderen, er ist nicht Schuld. Und ich bin nicht damals. Ich bin heute und habe heute 100 Tools, die mich vor dem schützen, was ich fürchte.
Und wieder wurde mir klar: Wut ist Abgrenzung, Trauer ist Liebe und Zuneigung und Angst ist Umsicht und Achtsamkeit. Und es ist gut und normal, dass ich all das fühle. Weil es mich nicht wieder blauäugig in mein Verderben rennen lässt. Sondern, weil ich diesmal nüchtern und vollkommen klar an die Sache herangehe, mir Zeit lasse und abwäge, ob die Brücke mich hält, bevor ich losrenne.