(Ver-) Lust-Angst

Ich starre seit 60 Minuten auf den Bildschirm und weiß nicht recht, wo ich anfangen soll. So geht es mir in der letzten Zeit häufiger. Ich habe 1000 Gedanken, 1 Mio. Wörter, finde aber nicht die Kraft und den Fokus, diese zu Sätzen zu formen. Es ist, als würde ich es einfach nicht wahrhaben wollen, dass da immer noch Dinge sind, immer noch Trigger, die alte Geister wecken. Immer noch Teile alter Traumata, die mich in der Gegenwart beeinflussen. Weil ich noch nicht fertig bin und weil auch nicht alles für immer weggehen wird. Und weil manches eben einfach immer ein bisschen schwieriger für mich sein wird. Dann bockt mein inneres Kind und ich frage mich, ob es mir wegen des Triggers schlecht geht, oder weil ich es einfach leid bin. Weil ein Teil von mir noch immer nicht akzeptieren will, dass eben nie alles so richtig gut sein wird, dass ich immer aufpassen und an mir arbeiten muss.

Ich war am Wochenende so krass davon überzeugt, dass ich meine Beziehung auf jeden Fall beenden muss, weil ich es nicht aushalte, weil sie mich einschränkt, weil alles eigentlich gar nicht so toll ist und überhaupt. Ich habe mir das wirklich geglaubt und es hat mir Angst gemacht. In meinem Kopf spielen sich reale Szenarien ab. Bin dahin, dass ich selbst Dinge „plane“, die der Beziehung schaden könnten, um sie zu sabotieren, damit dann auch wirklich alles seine realistischen Gründe hat und ich am Ende sagen kann, dass es ja so kommen musste, dass ich wieder allein bin.

Hört sich anstrengend an? Ist auch so!

Das Thema ist auch überhaupt nicht neu. Ich hatte es bei MK auch schon. Und noch heute tut es mir leid, wie ich mich ihm gegenüber in diesen Phasen verhalten habe. Was dahinter steckt, ist Verlustangst. Was daraus resultiert, ist Bindungsangst. Also eigentlich habe ich Angst, dass geliebte Menschen mich enttäuschen und verlassen. Weil ich das ja so kenne. Um mich vor dieser Enttäuschung zu schützen, gehe ich Beziehungen am besten gar nicht erst ein. Oder aber, ich suche mir toxische Menschen, die mich auf jeden Fall verletzen, damit sich bestätigt, dass so und nur so, Beziehungen bei mir zu laufen haben. Und wenn ich dann mal jemanden habe, der mich so nimmt, wie ich bin, der lieb und verlässlich ist, dann halte ich das nicht aus. Das passt nicht in meine Realität von Beziehungen.
Daher suche ich aktuell auch ständig die Bestätigung von Außen, dass diese Beziehung gut ist, dass er gut ist und dass es sich lohnt, zu bleiben. Obwohl mir das ziemlich gehen den Stricht geht, dass ich das so sehr brauche.

Und ja, verdammt. Ich mag den Typen echt gern. Endlich mal kein Drama, viel Liebe, Fürsorge, Verlässlichkeit und entspannte gemeinsame Zeit.
Und doch schafft es mein Unterbewusstsein, mir das irgendwie madig zu machen.
Wieso gerade jetzt?
Ich hatte vor ein paar Tagen Geburtstag. Ich mag meinen Geburtstag. Aber schon zum zweiten Mal ist es nun auch ein Tag, an dem ich mehr denn je an die Verluste mir nahestehender Menschen erinnert werde. Das zieht eine ganze Kettenreaktion mit sich, die mein komplett gestörtes Urvertrauen extrem triggert und dann gehen eben diese Coping-Mechanismen bei mir an. Und das sind leider keine von den guten.

Zugleich kommt Scham und Angst. Ich wehre mich gegen all das. Ich möchte ihn nicht so sehen und ich möchte nicht diese Projektionen haben. Weil ein Teil von mir das Negative glaubt und es schwer ist, aus diesem Studel wieder raus zu kommen. Und natürlich habe ich Angst, dass das alles eine sich selbst erfüllende Prophezeiung ist.Das macht mich komplett wahnsinnig. Jedes Mal ist es ein enormer Kraftakt, diese negativen Gedanken nicht siegen zu lassen.

Ein weiterer Aspekt, der dazu kommt, betrifft meine Wohnung. Ich halte es manchmal einfach nicht aus, dass er bei mir ist. Andersherum: ich bin einfach lieber bei ihm. Ich kann mich dort besser fallen lassen, ich fühle mich sicher und ich muss weniger Entscheidungen treffen. Ob das auf Dauer ein guter Zustand ist? Meine Wohnung ist eben nach wie vor mein Safespace. Nicht, dass von ihm irgendeine ernsthafte Bedrohung ausgehen würde. Es ist komisch, ich fühle mich unsicher. Ich glaube dahinter liegen unterbewusst auch ein paar Dinge, die mir bisher nicht so präsent waren. Ein Teil von mir findet das spannend, ein Teil von mir ist einfach nur genervt.

Es fühlt sich unfair an. Weil er ja nicht einer der Menschen aus meiner Vergangenheit ist. Das muss ich mir immer wieder vor Augen führen. Früher bin ich über all diese Trigger einfach so hinweggegangen. Besser gesagt: ich habe sie betäubt und konnte sie so gut ignorieren. Solange bis alles eskaliert ist. Wie immer. Jetzt achte ich mehr auf mich. Jetzt bin ich fürsorglich mit mir selbst, damit mir so etwas nicht noch einmal passiert.

Hinter dieser getriggerten und eigentlich irrationalen Angst zieht sich ein Rattenschwanz an negativen Gefühlen her. Es macht mich wahnsinnig. Da ist ein Mensch, in den bist du eigentlich so verknallt und im nächsten Moment kannst du das eigentlich gar nicht mehr glauben. Und – no surprise – das wirkt sich auch auf meine Libido aus. Es macht mir gerade keinen Spaß, ich kann nicht so richtig und noch weniger kann ich sagen, dass es so ist. Man spricht ja nicht umsonst von Oxytocin, was so wichtig ist, als Bindungshormon. Auch das ist so ein nüchternes Phänomen. Ich brauche schon viel Zeit und Sicherheit, um mich im Bett fallen lassen zu können. Normal, oder? Darüber bin ich früher auch einfach hinweggegangen. Jetzt merke ich, dass es anders ist, dass auch hier Unsicherheiten lauern. Dennoch ist es nichts, was sich nicht überwinden, oder zumindest „verbessern“ ließe.

Zu meinen Zerstörungs-Mechanismen gehört dann, dass ich Szenarien konstruiere, die gar nicht stattfinden, dass ich Dinge projiziere, die gar nicht da sind. Dass ich mich zu anderen Menschen, von denen ich eigentlich weiß, dass mir deren Nähe nicht so guttut, wieder mehr hingezogen fühle. Als wollte mein Unterbewusstsein Chaos produzieren, damit auch wirklich alles gegen die Wand fährt. Und ganz laut ist die Stimme in mir, die mir sagt, dass Alleinsein doch so viel einfach wäre. Dann müsste ich mich mit all dem gar nicht befassen.
Aber ist es nicht auch ein Heilungsprozess? Ist es nicht auch eine Chance?

An einer Beziehung arbeiten, um an ihr festhalten zu können bedeutet für mich, in erster Linie ganz viel Arbeit mit und an mir selbst. Dabei ist es wichtig, dass ich nicht meine Mitte verliere, dass mein Pendel immer im Orbit bleibt, dass ich mich selbst nicht verliere und mir meine Autonomie bewahre. Und ich muss aufpassen, dass ich mich nicht zu sehr in meine Comfortzone zurückziehe und am Ende keine Lust mehr habe, da wieder rauszukommen. Denn das befeuert nur meinen Weglaufreflex.
Manchmal muss ich auch „nur“ über meinen Schatten springen. Denn ich habe jetzt das große Glück, einen Partner an meiner Seite zu haben, der sehr verständnisvoll ist. Und bisher gab es keinen Grund für meine Angst, wenn ich etwas auf dem Herzen hatte oder mich unwohl fühlte. Im Gegenteil, am Ende ging es mir immer besser. Und ich darf mir eine Sache, die er mir gesagt hat, merken: Es ist viel schöner, die Bedürfnisse des anderen zu kennen, um damit umzugehen, als im Dunkeln zu tappen. Weil man damit mehr über die Person lernt, einander Halt geben kann und so gemeinsam wächst.

4 Gedanken zu “(Ver-) Lust-Angst

  1. Boch alles Liebe und Gute zu Deinem besonderen Tag! Ich wünsche Dir dass Deine Ängste weniger werden.
    Was Du beschreibst kenne ich nur zu gut. Sich der Problematik bewusst zu werden ist schon ein grosser Schritt nach vorne! Weiter so.

    Like

  2. Hey Elli, den Beitrag finde ich sehr ehrlich und selbstreflektiert! Und toll dass du auch ein positives Fazit ziehen kannst, das gibt euch eine echte Chance. Ich wünsche euch dafür viel Glück!

    Gefällt 1 Person

  3. Dann erstmal herzlichen Glückwunsch nachträglich, Elli!
    Hoffe, Du hast Dich feiern lassen. Und außerdem: feiere Dich selbst, ja?!

    Ich finde es toll, dass Du Dir das hier von der Seele schreibst. wünsche Dir, dass es Dir hilft mit all dem umzugehen, was da emotional auf Dich einprasselt und in Dir tobt.
    Indem Du all das so reflektiert aufdröselst, ist Dir ja auch selbst klar, auf welchen Ebenen Du unterwegs bist. Und was ihm gegenüber unfair wäre.
    Er hat das übrigens sehr schön formuliert – also wachst gemeinsam!
    Liebe Grüße!

    Gefällt 1 Person

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s