Bindung

Bemerkung: Dieser Beitrag existiert schon eine Weile. Die Thematik ist also nicht ganz frisch. Als diese Gedanken akut waren, empfand ich die Veröffentlichung tatsächlich als zu intim. Jetzt mit etwas Abstand möchte ich Folgendes mit euch teilen:

Wenn ihr mich fragt, was mir an Beziehungen am meisten Angst macht? Der Verlust meiner Autonomie. Ich habe mir in den letzten fünf Jahren meine Identität und mein Ich so hart zurück- und erarbeitet. Sobald ich auch nur einen Funken manipulativer Energie erahne (egal ob real oder nicht), Dinge, Taten, irgendwas, was mich ein einengen oder einschränken könnte, dann wird mir schlecht. Dann bekomme ich Panik, dann will ich rennen. Dann kommt die Stachel-Elli (wie MK sie immer nennt) und wehrt sich, so gut sie kann. Zugleich neige ich in diesen Momente dazu, mich so von meinen Gefühlen abzuspalten, dass ich mich selbst davon überzeuge, absolut nichts mehr zu empfinden und mir die andere Person dann sowieso egal ist.
Andererseits neige ich aber auch dazu, mich selbst aufzugeben. Mich in Formen pressen zu wollen, in die ich eigentlich nicht passe. Und das ist eigentlich die viel größere Gefahr. Ich merke es gar nicht so richtig, weiß etwas in mir denkt, ich müsse bestimmte Dinge tun, sagen oder denken. Und dieses „Nicht-merken“ macht mir im Grunde viel mehr Angst.

Etwas ganz tief in mir drin hat immer das Gefühl, wenn ich so bin wie ich bin, also wenn ich mich auch so zeige, dann bin ich nicht genug, dann bin ich irgendwie falsch. Andererseits bin ich vielleicht auch zu viel, weil ich ja all diese Päckchen und den ganzen Ballast mit mir herumschleppe und mitbringe. Und weil ich früh gelernt und lange manifestiert habe, dass Gefühle und persönliche Bedürfnisse keine Bedeutung haben und auf jeden Fall zweitrangig sind, passe ich mich an und verliere mich.

Tja, in der Theorie weiß ich das alles. Wie kommen wir nun aber dazu, die Dinge praktisch umzusetzen, um diesmal nicht aus den falschen Gründen alles gegen die Wand zu fahren? Meine Trotz-Elli sagt mir ständig, dass diejenigen, die an all dem Schuld haben, es sowas von überhaupt gar nicht wert sind, dass ich ihretwegen leide und in meinem Leben Abstriche machen muss.

Auf dem Weg der Heilung (und das gilt für sämtliche traumatische Erfahrungen) hilft mir besonders das Verstehen. Meistens merke ich, wenn bestimmte Gefühle nicht aufgrund einer realen, gegenwärtigen Sache auftauchen, sondern eher aus meinem Inneren kommen und damit im Zusammenhang eines Erlebnisses aus der Vergangenheit stehen.
Und mal wieder bin ich eigentlich zufällig drauf gestoßen. Ich habe letztens einen Podcastfolge von Stefanie Stahl gehört, wo es im Bindungsängste ging. Und ich hatte noch wenige Stunden zuvor behauptet, ich wäre gar nicht wirklich bindungsängstlich. Nun ja, wenn man der „Definition“ Glauben schenkt, bin ich ein Musterbeispiel dafür.
In der Folge beschrieb die Klientin, die gerade dabei war, eine neue Beziehung einzugehen, 1:1, was ich seit ein paar Wochen fühle. Immer, wenn ich Zeit mit dem neuen Mann in meinem Leben verbringe, dann fühle ich mich so sicher und geborgen. Aber wenn ich ihn dann verlasse, habe ich die schlimmsten (Selbst-)Zweifel, die man sich vorstellen kann. Ich bin extrem selbstkritisch und hart zu mir, finde mich absolut nicht liebenswert, schäme mich für Gedanken und Gefühle und würde am liebsten alles einfach sein lassen, weil es mir viel zu anstrengend ist und ja früher oder später sowieso in die Brüche gehen wird. Und klar, da kommt irgendwie Angst hoch, dass ich in einem von beiden Lebensbereichen irgendwie „falsch“ bin.

Nun liegt es auf der Hand, dass all meine verkorksten Beziehungen nicht unschuldig sind an diesen abstrusen Gedanken und Gefühlen. Von meiner toxischen Ehe mit dem Narzissten brauche ich gar nicht erst anzufangen. In der Podcastfolge ist mir aber noch eine weitere Sache klar geworden, die ich im Grunde schon lange spüre, die sich aber bisher unterbewusst abgespielt hat.
Ich meine, ich habe vor einiger Zeit erwähnt, dass ich nach 15 Jahren Funkstille wieder Kontakt zu einer wichtigen Person aufgenommen habe. Diese war in meiner Kindheit und Jugend eine meiner engsten Bezugspersonen für mich gewesen. Sie war gefühlt die einzige erwachsene Person in meinem näheren Umfeld, die mich sah, wie ich war und der ich grenzen- und schamlos alles anvertrauen konnte. Heute denke ich oft, dass ich viel von ihr in mir habe. Als ich 15 war, zog sie relativ plötzlich und für mich grundlos aus meiner Heimatstadt weg. Heute kenne ich die Gründe, damals war ich einfach nur am Boden zerstört, weil ich mich so verlassen und einsam fühlte. Dummerweise passierte das zeitgleich mit einem anderen einschneidenden Erlebnis, welches mich in der Gesamtheit den letzten Funken meines Urvertrauens kostete.
Knappe drei Jahre versuchte ich mich mehr schlecht als recht mit der räumlichen Distanz zwischen uns zu arrangieren. Aber ich hielt es nicht aus. Damals war es mir nicht klar, aber ich war an diesem Schmerz innerlich zerbrochen.

Für mich bedeutete dieser unfreiwillige Abschied sehr viel Leid und sehr viel Anstrengung. Die emotionale Nähe existierte mit der räumlichen Distanz plötzlich nicht mehr. Ich hatte nicht mehr die Möglichkeit, sie jederzeit zu besuchen, jederzeit zu fliehen. Und so litt ich mit allem, was sonst noch in diesen intensiven Jahren in meinem Leben passierte, still vor mich hin und das, ohne damals zu merken oder ansatzweise zu verstehen, was da eigentlich gerade passierte. Als ich 18 war, brach ich selbst den Kontakt ab, weil es das einzige war, was ich tun konnte, um den Schmerz nicht mehr ständig zu spüren. Es half, weil es genau das war, was ich gelernt hatte. Was nicht mehr da ist, tut nicht mehr weh. Und tatsächlich ignorierte ich alle ihre Versuche, mit mir wieder Kontakt aufzunehmen und war 15 Jahre lang davon überzeugt, dass es das Richtige war. Heute weiß ich, dass diese Betäubung und Verdrängung des Schmerzes nur von begrenzter Dauer ist. Irgendwann holt es einen wieder ein.

Erst als ich mit Anfang 30 wieder mal an einen Turningpiont in meinem Leben kam, schoss es mir durch den Kopf, dass genau sie die Person sein könnte, die mir vielleicht die ein oder andere Frage würde beantworten können. Also schrieb ich einen langen Brief, in dem eigentlich ich versuchte, mich zu entschuldigen, was genau genommen irgendwie gar nicht notwendig war. Ich hoffte innigst, dass sie in all den Jahren nicht so sauer oder verbittert über meine Wortlosigkeit geworden war, dass sie gar nichts mehr von mir wissen wollte. Ich brauchte ja dringend Antworten. Und tatsächlich reagierte sie. Und das war glücklicherweise kurz nach meinem Start in die Nüchternheit. Anfangs war der Kontakt super intensiv. Wir telefonierten ein paar mal mehrere Stunden und ich konnte einige meiner Fragen stellen. Es war extrem emotional, aber auch irgendwie gut, weil ich plötzlich Hoffnung bekam, dass sich ein Teil meines Lebens doch noch würde aufräumen lassen. Leider musste ich bald feststellen, dass sie damit emotional überfordert war. Ich hätte eben beinahe geschrieben, dass ICH sie emotional überforderte. Aber, dass der ganze Scheiß so abgefuckt ist, ist NICHT MEINE SCHULD!

Der Kontakt ist nach wie vor da und auch sehr regelmäßig. Dennoch fehlt mir ganz oft die emotionale Verbindung. Ich glaube, sie würde mir gern mehr geben, kann es aber nicht. Und ein Teil von mir kann sich damit (noch) nicht arrangieren. Und tatsächlich wünsche ich mir insgeheim manchmal, ich hätte diese Tür der Hoffnung nie aufgemacht. Weil ich das, was ich brauche, irgendwie doch nicht bekommen kann. Und manches tut jetzt doppelt weh.

Lange Rede, kurzer Sinn. Die einzige Person, bei der ich mich jemals wie ich selbst fühlte und die mich auch ungefiltert so sein ließ, hatte mich verlassen und ich kann es ihr bis heute nicht verziehen. Es gibt noch ein paar mehr Gründe, auf die ich hier zum Schutz von Personen nicht eingehe. Ich blieb irgendwie so allein und schutzlos zurück und musste von da an ziemlich viel „funktionieren“. Und ich behaupte nicht mal, dass mir das mit purer Absicht auferlegt wurde. Aber leider kann ich die Tatsache nicht leugnen, dass diese Umstände viele Wunden verursacht und Narben hinterlassen haben. Und ich glaube, ich habe das lange nicht gemerkt, weil ich so oft betrunken, vernebelt und verkatert war. Vor allem, wenn es um Beziehungen oder damit einhergehenden Schmerz ging. Alkohol war ja immer meine erste Wahl beim Coping. Tja und jetzt, da ich das erste Mal in meinem Leben nüchtern eine Person kennen, schätzen und mögen lerne, kommen all diese Ängste und Trigger vollkommen ungefiltert hoch. Alles ist plötzlich real. Ich habe Angst, nicht zu genügen. Ich habe Angst, dass ich zu viel bin oder zu wenig oder irgendwie falsch, wenn ich mich zeige, wie ich bin.

Mein Therapeut sagte letztens zu mir, dass Bindung und Autonomie sich nicht ausschließen. Das ist mir wohl bewusst. Und meine gesunde Erwachsene weiß ziemlich genau, dass Beziehungen genauso funktionieren (sollten). Im realen Leben habe ich das nie gelernt. Und deswegen fällt es mir jetzt schwer. Da ich aber mittlerweile meine Autonomie extrem zu schätzen weiß, wehre ich mich oft gegen Bindung und das äußert sich eben in diesen absurden Panikgedanken.

Und während ich all das schreibe, kullern dicke Tränen über meine Wangen. Ich fühle, wie verletzt mein inneres Kind ist. Und ich spüre, wie in der Gegenwart die Wut hochkommt. Und dann denke ich daran: Wut ist Abgrenzung. Ich will diese blöden Geister nicht mehr hier haben. Das hier ist das Tal, welches ich durchqueren muss. Zumindest hoffe ich das. Das sind wichtige Schritte auf dem Weg der Heilung. Und das Tolle ist, dass ich diesmal eben wirklich sagen kann, dass jetzt alles anders ist. Weil ich erstens wirklich alles versucht habe und zweitens, weil ich nüchtern bin. Weil ich diese Scheiße endlich fühle und wenn es danach nicht endlich ein bisschen leichter wird… naja dann weiß ich auch nicht. Aber es bleibt mir nicht viel mehr, als zu vertrauen, denn Aufgeben ist keine Option. Schon komisch, es tut alles ziemlich weh, aber irgendwie scheint die Spirale sich diesmal in eine andere Richtung zu drehen…

9 Gedanken zu “Bindung

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