Dass mein allgemeiner Gemütszustand in den letzten Wochen wieder auf einen tiefen Abgrund zusteuerte, war mir schon eine ganze Weile bewusst. Und doch überrumpelte mich der mentale breakdown mal wieder komplett überraschend. Mir war echt oft nach Heulen zumute gewesen in den letzten Wochen. Aber irgendwie klappte es einfach nicht so wirklich. Ich bin ein großer Freund von Tränen, weil ich finde, dass Weinen etwas extrem Befreiendes hat. Im besten Falle passiert das natürlich in einem persönlichen Safespace, also zu Hause beispielsweise. Daher habe ich das wirklich herbeigesehnt. Aber wie das oft so ist, kommt es unverhofft und dann besonders heftig, wenn sich Emotionen lange anstauen. An dieser Stelle mal wieder 1000 Dank an meine Selbstständigkeit. Diesmal gab es tatsächlich auch einen Trigger, den ich erst im Laufe des Tages so richtig verstanden habe und das hat mir echt geholfen. Nachhaltig!
Gründe zum Heulen gab es also viele: Viel Unverständnis, Einsamkeit, Wut, der Breakup… Auslöser für das sich lösen der ganzen angestauten Emotionen war eine Panikattacke, die ich in dem Moment überhaupt nicht als solche identifizierte. Es war nicht das übliche nach Luftringen, Schwindel, nicht mehr stehen können. Es überrollte mich tief aus dem Bauch, durch die Brust und dann brachen sich die Wellen unaufhaltsam. Ich war überrascht, denn es ging mir gut an dem Tag. Ich freute mich sogar, weil ich tolle Pläne hatte. Ich wollte mir den halben Tag freinehmen und mit meiner Freundin ins Spa fahren. Daraus wurde dann allerdings nicht, weil ich mich absolut unfähig fühlte, das Haus zu verlassen.
Immer wieder wurde ich von heftigen Weinkrämpfen geschüttelt. Ich wusste bald nicht mehr, was ich noch tun sollte. Ich wusste nicht, wo der Fokus lag, was genau gerade passiert war. Ich merkte nur, es war eindeutig alles zu viel. Zu viel Wut, zu viel Enttäuschung, zu viel von allem und zu wenig happyness und Unbeschwertheit.
Schließlich schaffte ich es, mir mein Traumabuch („Trotz allem“) vorzunehmen und begann, darin zu lesen. Ich sollte das sowieso öfter machen. Ich fing dann an, einige der Schreibübungen zu probieren. Es ging darum, Symptome und damit Folgen des früheren Missbrauchs aufzuschreiben. Mechanismen, die man entwickelt hat, um zu überleben. Ich kenne die alle seht gut, aber Bewusstsein schaffen hilft immer noch ein bisschen mehr. Daraus sollte man dann wiederum positive Errungenschaften ableiten, also Stärken die man aus diesen Folgen entwickelt hat, um sich zu schützen und durchs Leben zu kommen. Das fiel mir sogar recht leicht. Ich weiß um meine Stärken. Aber es ist immer wieder hilfreich, gerade in Situationen, wo man weniger selfconfident ist, sich diese hin und wieder vor bewusst vor Augen zu führen. Desweiteren ging es um Überlebensstrategien. Also Dinge die man als Überlebende mehr oder weniger bewusst tut, wenn man weiß, man kommt zwar gerade nicht wirklich gut klar, Hauptsache Überleben. Dazu gehören Kontrollzwang, Vergessen, Nähe vermeiden, Alkohol, Flucht… um nur einige zu nennen.
In einem weiteren Kapitel, welches ich mir vornahm, ging es um Panikauslöser. Also Situationen, die im echten Leben nichts mit dem Missbrauch an sich zu tun haben, aber ähnliche Gefühle wecken und zu Panik führen können.
Ich dachte darüber nach, was am Tag vor der Panikattacke passiert war und in dem Moment wurde mir so einiges klar. Bei mir handelt es sich um Situationen, in denen Personen meine persönliche Grenze überschreiten. Meist sind dies konfliktbehaftete Personen, die bspw. ohne Ankündigung oder ohne um „Erlaubnis“ zu fragen Kontakt aufnehmen, erscheinen, sich melden, wie auch immer wieder „Einfluss“ auf mein Leben nehmen, obwohl es in meinem Kopf eine innere Schranke oder eine Art Verbot gibt. Ich habe das schon öfter erlebt, dass ich in solchen Momenten extrem panisch und emotional aufgebracht reagiere, sogar körperlich mit Schmerzen oder Durchfall. Für mich vollkommen natürlich, für Außenstehende manchmal befremdlich und übertrieben. Da drückt jemand den Elli-Panic-Button. In dem Moment, als mir klar wurde, was diese Panik einen Tag zuvor ausgelöst hatte, beruhigte ich mich. Ich konnte es begreifen, ich wusste, was passiert war. Und noch viel wichtiger: ich hatte in der Situation das einzig Richtige getan. Ich habe der Person meine Grenzen aufgezeigt und mich dadurch in Sicherheit gebracht. Die frühere Elli hätte das nicht getan. Es machte mich unglaublich stolz und gab mir in diesem Moment die nötige Kraft, um aus meinem tiefen Loch herauszukommen.
Ich hatte mich an diesem Tag um 180 Grad gedreht. Von „Ich hab keinen Bock mehr auf den ganzen Scheiß“ war ich zu ganz viel Selbstliebe und Selbstwertschätzung gelangt, weil ich wohl zum ersten Mal kapiert habe, dass ich nicht hilflos bin, dass ich mich wehren und für meine Bedürfnisse einstehen kann. Und siehe da, am nächsten Tag war meine Motivation schon eine ganz andere. Ich muss wirklich gestehen, die letzten Wochen war es hart für mich, morgens aufzustehen, mich zu motivieren und den Tag zu überleben. Am Tag nach dem Breakdown sprang ich aus dem Bett, ging zum Sport, putze die ganze Wohnung und erlebte am Abend eine wundervolle Party mit wundervollen Menschen, genau, wie ich es gebraucht hätte.
Und – aber das war schon seit einiger Zeit der Plan – ich starte in einen neuen trockenen Monat, diesmal bis Ostern. Und in Erinnerung an den trockenen Januar ist auch die Freunde an Klarheit und einem gesünderen Lebensstil wieder gekommen.
Ich freue mich mit Dir! Weiter so!
Ich lebe seit beinahe 30 Jahren ohne Alk. Und habe noch keinen Tag „ohne“ bereut!
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Elli, wie geht’s Dir inzwischen?
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Mir geht’s besser… Selfcare sei dank. 😊 Radikale Akzeptanz hilft oft.
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