violence

Ich habe bewusst diesen Titel gewählt, weil das englische Wort „violence“ viele Übersetzungen im Deutschen möglich macht. So findet man ganz typisch Gewalt, Gewalttätigkeit, Brutalität, aber zum Beispiel auch Heftigkeit oder Leidenschaftlichkeit. Letztere sehe ich im Zusammenhang mit psychischer Gewalt. Psychische Gewalt tut genauso weh wie physische, vielleicht sogar manchmal mehr als Schläge und sie hinterlässt definitiv tiefere Wunden und Narben. Und tatsächlich ist sie oft durch Leidenschaft begründet, durch Besessenheit oder durch mentale Krankheiten. Leider wird das Thema noch immer viel zu sehr verharmlost. Es heißt Opfern gegenüber oft, sie sollen sich mal nicht so haben, oder sie würden sich alles nur ausdenken, um wichtig zu sein, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Wer will denn bitte für soetwas Aufmerksamkeit.
Und das alles nur, weil man die Wunden nicht von außen sehen kann.

Ich habe mich mit dem Thema in der letzten Zeit wieder häufiger auseinandergesetzt, weil es mich vor allem durch die sozialen Medien sehr getriggert hat. Gerade passiert dort eine ganze Menge dazu. Und ich bin hin- und hergerissen, weil ich nach wie vor unschlüssig bin, wie ich dazu stehe. Also natürlich möchte ich eines von vornherein klarstellen: Ich verurteile jegliche Art von Gewalt. Mir geht es eher um die Art und Weise, wie darüber kommuniziert wird, wie Opfer und Täter sich präsentieren, wie dies wiederum vom Publikum wahrgenommen wird und was jedes Individuum für sich aus diesem Diskurs herausziehen kann.

Saskia Michalski einer der derzeit einflussreichsten Influencer*innen, die wirklich guten Content produziert und bei Themen wie Gewalt (psychisch oder körperlich), Polyamorie, Queersein, Gleichberechtigung, aber auch mental Health und vieles mehr… kein Blatt vor den Mund nimmt. Ich bewundere Ihre Stärke. Und woher hat sie die? Daher, dass sie es selbst erlebt hat, dass sie selbst durch die Hölle gehen und sich peinigen lassen musste. Aber sie war stark, oder vielleicht haben auch gerade diese Erlebnisse sie stark gemacht, sie hatte starke Personen an ihrer Seite, die ihr geholfen haben. Doch auch sie musste für all das kämpfen, kämpfen gehört zu werden. Sie hat nicht aufgegeben und ist nun für viele Betroffene, Angehörige und vielleicht auch die/den ein oder anderen Täter*in ein Vorbild. Ich finde, sie zeigt, wie man ungefiltert die (bei manchem) so verhassten sozialen Medien für Gutes nutzen kann. Und sie ist nur eines von vielen positiven Beispielen, denen ich gerade folge.

Ein kürzlich von Saskia gepostetes Video hat Erinnerungen in mir wach gerüttelt. Ich musste wieder an die Ehe mit meinem narzisstischen Ehemann denken und daran, wie ich tagtäglich psychische Gewalt über mich habe ergehen lassen. Nach außen hin wirkten wir immer perfekt. Niemand ahnte, dass wir uns regelmäßig stritten und jeder Streit damit endete, dass ich weinend in der Ecke saß, ihn um Verzeihung bat, egal wer eigentlich schuld hatte, und ich jedes Mal ein kleines Stückchen meines Selbst und meines Selbstwertes dafür einbüßte. Er hat mich nie direkt beleidigt. Er kannte viel bessere Tricks, um mir zu vermitteln, wie wenig ich in seinen Augen wert war. Die Erinnerung daran tut mir noch jetzt weh. Ich habe diese Woche meinem Therapeuten davon erzählt. Er fragte, ob mein Mann mich jemals geschlagen hätte. Ich verneinte, er habe mich nur ab und an mal etwas grober am Arm gepackt oder seine Aggressionen in etwas härteren Sex gepackt.
Mein Therapeut sah mich nur an und sagte: „Frau L. Das ist körperliche Gewalt!“
Ich holte tief Luft und musste schlucken. Bei diesen Worten traten mir Tränen in die Augen. Das war offensichtlich ein Trigger. Jetzt habe ich Tränen in den Augen. Mir wurde klar, dass ich auch nur eines der Opfer war, die körperliche und psychische Gewalt durch Ihren Partner verharmlost haben, es nicht wahrhaben wollten, nie etwas gesagt haben, bis heute nicht. Dieser härtere Sex war nicht einfach nur eine Vorliebe, das war Sex, der nicht einvernehmlich war. Und er passierte immer dann, wenn wir eine Krise hatten und vor allem dann, wenn er der eigentliche Schuldige in der Situation war. Er hatte sogar einmal zu mir gesagt, er habe wissen wollen, ob er es noch spüre. Auch mein damaliger Mann war einer von denen, der vor Wut mit der Faust ein Loch in die Tür geschlagen hatte. Es war ebenfalls ein Streit zwischen uns. Danach verließ er die Wohnung, um den Kopf wieder klar zu bekommen. Als er zurückkam, hatte ich Angst. Er betrat den Raum und erhob die Hand. Ich weiß nicht mehr, was er vorhatte, aber instinktiv zuckte ich zusammen, weil ich dachte, ich wäre nun die nächste. Ich glaube, er erschrak selbst so sehr, dass er die Hand wieder senkte und sagte, ich müsste doch keine Angst vor ihm haben. Aber ja, ich hatte Angst.
Die körperliche Gewalt hatte er irgendwann mehr im Griff. Vielleicht auch, weil wir irgendwann einvernehmlich mehr in Richtung BDSM ausprobierten. Vielleicht war das sein Ventil. Aber der Psychoterror hörte nicht auf. Kurz vor unserer endgültigen Trennung stellte er mir eine Art Ultimatum. Ich sollte innerhalb von 24 Stunden herausfinden, wer ich sei und woran ich arbeiten möchte. Er ahnte nicht, dass ich feststellen würde, dass ich der Meinung war, mit mir wäre alles in Ordnung. Dies kränkte ihn nur noch mehr. Zwei Tage später las er mir einen Abschiedsbrief vor, in dem er noch einmal betonte, er brauche eine Partnerin, die sich ständig weiterentwickelt etc…. Weil er mir wieder einreden wollte, dass ich nichts wert sei. Doch diesmal glaubte ich es ihm nicht. In dem Moment war ich stärker. Dass er damit den Spieß umdrehen konnte, um zu verkünden, ich sei die Böse in dem ganzen Spiel gewesen, ist mir heute egal. Ich bin nur froh, dass ich plötzlich diese Kraft hatte, weil er mich endlich mal 24 Stunden mit mir allein gelassen hatte und ich so aus dieser toxischen Beziehung fliehen konnte. Vermisst habe ich ihn seitdem nie wieder.

Kürzlich wäre es mir dann doch tatsächlich beinahe wieder passiert. Ich lernte jemanden kennen, von dem ich jetzt weiß, er war nur die kleinere und vielleicht etwas harmlosere Kopie meines Ex-Mannes. Ja, wenn ich schwach bin, scheine ich offensichtlich solche Menschen anzuziehen. Die Parallelen sind einfach unglaublich: schnelle, extreme Nähe, Bewunderung und zugleich Ablehnung, Kontrolle, Aggression, Manipulation und am Ende Täter-Opfer-Umkehr. Wahnsinn.

Diese Erkenntnisse haben mich echt krass getroffen in diesen Tagen. Und ich bekam zum ersten Mal wirklich Mitgefühl mit mir selbst. Ich verstehe jetzt viel besser, wieso ich so unfassbar schwer in Beziehungen vertrauen kann, wieso ich Angst habe. Ich habe nicht nur diese extremen Verlustängste, von denen ich schon lange weiß. Ich habe mindestens genauso viel Angst vor Nähe, weil ich befürchte, mich könnte wieder jemand körperlich und mental so peinigen, dass es Jahre dauert, bis alle die Wunden wieder vernarbt sind.

Und genau deshalb, weil ich selbst weiß, wie hart das für einen Menschen sein kann, finde ich es gut, wenn Menschen wie Saskia rausgehen, öffentlich darüber sprechen, ihre Reichweite nutzen, um den Menschen – Tätern, Opfern, Angehörigen – die Augen zu öffnen und vor allem den Opfern zu zeigen, dass sie nicht allein sind.

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