Verzeihen

Ich glaube, verzeihen ist eines der schwersten Dinge überhaupt. Aber vielleicht sehe ich das auch nur persönlich so, weil es in meinem Leben so einige Dinge gibt, die ich bisher nicht verzeihen konnte oder wollte. Mir ist aber aufgrund meiner letzten -nennen wir es – „Niederlage“ etwas klar geworden. Ich muss gar nicht zwingend meinem Peiniger verziehen. Er muss selbst damit klarkommen, was er getan hat. Ich muss in erster Linie mir selbst verzeihen. Mir verziehen, dass ich in einer bestimmten Situation vielleicht schwach war, mich auf Dinge eingelassen habe, die ich, wäre ich in dem Moment stärker gewesen, gar nicht an mich heran gelassen hätte.
Als ich vor Kurzem auf dieser Wolke schwebte, war ich gerade absolut nicht in meiner Mitte, mein Zustand war fragil wie nie und ich sehnte mich nach einer Schulter zum Anlehnen. Und da war sie plötzlich. Normalerweise bin ich ja nicht so, dass ich mich schnell einlasse und weiter gehen will. Ich brauche lange, um Vertrauen aufzubauen. Und ich habe mich schon gewundert, wieso ich es ausgerechnet in diesem Moment konnte. Die Sehnsucht nach Halt, nach irgendeinem Halt, hat mich blind und unvorsichtig gemacht. Und als es plötzlich vorbei war, war ich so wütend und enttäuscht. Jetzt habe ich gemerkt, dass ich vor allem auf mich selbst wütend war, auf meine Schwäche und Blindheit. Weil ich es doch eigentlich besser weiß.

Dieses Verzeihen hat dann auch eine ganze Menge mit Mitgefühl zu tun. Und dieses Mitgefühl mit mir selbst, hilft mir, mit mir selbst nicht so streng zu sein und im schlimmsten Falle, meine Gefühle, Wut und Hass nicht gegen mich selbst zu richten. Und irgendwie bekomme ich dadurch gerade auch Mitgefühl gegenüber der Person, die für all die negativen Gefühle in mir verantwortlich ist oder war. Ich muss nicht zwingend meinem Gegenüber verzeihen. Der hat damit selbst genug zu schaffen. In dem Moment geht es nur um mich selbst. Diese Erkenntnis hat mir in diesen Tagen unglaublich viel Energie gegeben und mir eine Art inneren Frieden beschert. Übrigens sollte man Mitgefühl nicht mit Mitleid verwechseln. Ich finde, Mitleid hat so etwas Bedürftiges. Mitgefühl ist Liebe.

Nun war das aktuelle Ereignis wirklich eine Kleinigkeit gegenüber den anderen Dingen in meinem Leben, mit denen ich versuche Frieden zu schließen. Ich dachte auch kurz an meine gescheiterte Ehe und die Beziehung zu diesem Narzissten in der ich fünf Jahre festhing. Ich habe ihn, nachdem alles vorbei gewesen ist, nie wirklich vermisst, weil ich froh war, über die wiedergewonnene Freiheit. Aber ich habe noch wirklich lange unter allem gelitten. Und jetzt kommt es mir in den Sinn, dass ich in erster Linie wütend auf mich selbst war, dass ich all das so lange mitgemacht habe, dass ich nicht ich selbst war und sich diese fünf Jahre anfühlten, wie verschwendete Zeit. Erst als ich mir selbst verzeihen konnte, dass ich eben innerlich auch noch nicht soweit war, von ihm loszukommen und all das, habe ich auch mit der Geschichte abschließen können. Und als ich das konnte, wurde ich nach und nach zu dem Menschen, der ich sein wollte und sollte.

Aber was ist mit Begebenheiten, wo es nicht so leicht ist? Wo es nichts gibt, was man sich selbst verziehen können könnte? Diese Frage beschäftigt mich nun schon seit ein paar Tagen und ich finde keine wirkliche Antwort. Es gibt eine Situation in meinem Leben, da wäre ich auf den Schutz andere angewiesen gewesen. Da gibt es nichts, was ich hätte tun können. Das hatte nichts mit Reife oder Schwäche zu tun, da ich ein Kind war. Ich könnte der Person verzeihen, die mir das angetan hat und den Personen, die mich nicht beschützt haben. Doch stattdessen gebe ich mir unbewusst immer wieder selbst die Schuld, als gäbe es etwas, was ich mir verziehen könnte. Und in dem Fall kann ich meinen Peinigern (noch) nicht vergeben. Ich habe es versucht, wollte die Gedanken zulassen, aber es geht nicht. Der Schmerz sitzt zu tief und das macht mich wiederum wütend und weil ich die Personen nicht greifen kann, auf die sich diese Wut eigentlich bezieht. Und so richte ich sie immer und immer wieder gegen mich selbst. Das muss aufhören, weil das ein verdammter Teufelskreis ist.

Und die nächste Frage ist: wenn ich es schaffen würde, diesen Personen zu verzeihen… wozu wäre ich dann in der Lage? Was für ein Mensch könnte ich dann womöglich sein?

9 Gedanken zu “Verzeihen

  1. Was Du gegen Ende des Textes andeutest… da scheinst Du nichts „verbockt“ zu haben, ergo kannst Du Dir auch nichts verzeihen. Ob und wie das mit dem Vergeben funktionieren könnte, weißt letztlich nur Du selbst.

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