Die neue Realität

Die aktuelle Zeit ist einerseits extrem intensiv, andererseits fühle ich mich so gelähmt und lethargisch wie selten bisher. Ich tue mich schwer, diese Zeilen aufzuschreiben. Die Gedanken sind alle in meinem Kopf, sie müssen auch raus. Aber irgendwie bin ich auch so müde. Ich bin es so leid, ich kann nicht mehr und will nicht mehr.

Der erste Lockdown war noch „lustig“. Es würde ja bald wieder alles wie früher sein. Da haben wir noch versucht, die alte Realität aufrechtzuerhalten. Sind ständig draußen gewesen mit Leuten, haben uns gemeinsam per Videocall betrunken und eben das Beste aus der Zeit gemacht. Jetzt macht sich so eine allgemeine Müdigkeit breit. Ich habe kaum Freunde, die nicht schrecklich leiden unter der Isolation. Jeder auf seine eigene Art und Weise. Ich höre Menschen von Selbstmord reden. Und mal ohne Mist: hätte ich gerade nicht meinen Job und würde hier versuchen voran zu kommen, dann wüsste ich nicht, wie es schlimm es mittlerweile um meine psychische Verfassung stünde. Hinzu kommt, dass das C-Thema auch Freundeskreise spaltet. Entweder, weil man eben zu bestimmten Dingen und Regeln andere Meinungen hat, oder aber weil man unterschiedlich doll betroffen ist. Letzteres beziehe ich jetzt mehr auf das Berufliche. Wenn man „systemrelevant“ ist, hat man es gut. Versteht mich nicht falsch, ich habe Respekt vor all denen. Ich möchte auch echt nicht tauschen. Ich möchte auch gar keine aktive Hilfe meiner Freunde. Aktuell geht es mir noch gut. Aber nicht zu wissen, ob das in zwei oder drei Monaten auch noch so ist, ob ich zeitnah wieder „richtig“ arbeiten kann, das macht mich komplett fertig. Das ist so anstrengend. Zudem muss ich natürlich auch stark sein und meine Mitarbeiterin nicht verunsichern, wenn es nicht notwendig ist. Das ist dein Drahtseilakt. Ich möchte dafür eigentlich nur ein bisschen Verständnis und minimalen Respekt.

Mal davon abgesehen habe ich das Gefühl, wir arrangieren bzw. schaffen uns eine neue Realität, anstatt an der alten so sehr festzuhalten, wie noch vor einem Jahr. Ich mache nicht mehr mein freitägliches Kinkytanzen zu Hause. Ich habe einfach keinen Bock mehr. Ich plane meinen Tag lockdowngerecht. Manchmal wirft es mich regelrecht aus der Bahn, wenn ich spontane Anfragen für Treffen bekomme. Damit kann ich nur schwer umgehen. Das ist ganz merkwürdig.

Und dann frage ich mich, wie schwer es wohl wird, wieder zurückzukehren in das richtige Leben, Oder wird dann wieder alles anders und neu? Wird der Stufenplan funktionieren? Bekommen wir nach und nach alles wieder? Ich weiß es nicht. Man kann es nicht planen, man kann nur selbst versuchen, alles „richtig“ zu machen und an die Vernunft anderer appellieren.
Wenn ich an die unmittelbare Zukunft denke, wünsche ich mir eigentlich nur, dass die Sorgen bzgl. meines Business wieder kleiner werden und wieder unbeschwerter leben kann. Ja, unbeschwert sein, das möchte ich und das ist, was mir gerade fehlt. Ich bin darauf gefasst, jeden Moment zu fallen. Fallen lassen funktioniert da nicht so gut.

2 Gedanken zu “Die neue Realität

  1. Hauptsache, nach dem Fallen kommt das Aufstehen. Mit Netz und doppeltem Boden wird es je nach Business schwierig. Und ich denke wir sollten uns darauf einstellen, daß wir „normal“ neu definieren müssen.
    Da wird inzwischen eine Menge gespalten und Du weißt, weder mag ich den Begriff „systemrelevant“ noch finde ich ihn im Hinblick auf die Gesellschaft förderlich. Ich hatte neulich eine selbsternannte „Superheldin“ ( so nennen die sich auf roten selbstfotokopierten Plakaten an jedem Regal) mal gefragt, was ihr Heldentum denn bringen würde, wenn die Leute sich das einkaufen nicht mehr leisten könnten. Da kam das große Schweigen. Habe ihr dann noch reingedrückt, daß sie im Gegensatz zu vielen Anderen ihrer Arbeit im vollen Umfang nachgehen kann. Da kam dann erst recht nichts mehr. Das ist vielleicht nicht ganz gentlemanlike, aber es mußte sein. 🙂
    Halt‘ durch, Elli, liebe Grüße und Gute Nacht!

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    • Danke, es tut gut „verstanden“ zu werden. Und mehr verlange ich auch gar nicht. Das Boot, in dem wir sitzen, bleibt weiterhin das Gleiche. Ich finde, das darf man ruhig mal etwas deutlicher werden. Gentleman hin oder her. Halte Du auch durch!

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