Lockdown 2.0

Ich weiß, wir können es alle nicht mehr hören. Dabei ist heute erst Tag eins von Lockdown Nummer zwei. Ich selbst bin normalerweise wirklich keiner, der sich über unsere Regierung aufregt. Und bisher fand ich die Maßnahmen auch alle soweit nachvollziehbar. Aber, was hier gerade abgeht, ergibt in meinen Augen echt nicht so viel Sinn. Und da wandert dann auch ein Fünkchen Verständnis zu den Corona-Kritikern und Verschwörungstheoretikern. Was nicht heißt, dass ich denen vollstens Recht gebe. Die haben teilweise auch nicht alle Latten am Zaun. Ich glaube nicht, dass Corona ein Mythos ist, aber die aktuellen Maßnahmen, kann ich nur ansatzweise bis überhaupt nicht nachvollziehen.

Monatelang haben sich Restaurants, Bars, Kultur- und andere öffentliche Einrichtungen Gedanken um Hygienekonzepte gemacht. Kaum einer hat Kosten und Mühen gescheut, sein jeweiliges Geschäft „coronatauglich“ zu machen. Jetzt steigen plötzlich die Zahlen, bzw. die Testkapazitäten, was wiederum eine Art Frisieren der Zahlen nach sich zieht. Kurz: es weiß doch niemand, wie hoch die Dunkelziffer im März wirklich war. Insofern ist das für mich der erste Punkt, den man differenziert betrachten sollte. Ich sehe durchaus ein, dass die Situation besorgniserregend ist. Was hier allerdings gerade passiert, mutet eher nach einer Panikreaktion unserer Politiker an. Diese hohen Tiere leben doch selbst in Berlin. Es lässt darauf schließen, dass die, die unser Land regieren, gar keine Ahnung mehr davon zu haben scheinen, wie das richtige Leben auf der Wet von statten geht. Wie denn auch? Tauschen möchte ich jedenfalls mit keinem von denen.

Mir ist vollkommen unverständlich, wieso ich plötzlich nicht mehr ins Fitnessstudio darf, nicht mehr ins Museum oder in ein Restaurant. Man sollte sich doch viel mehr darum kümmern, dass dort die Regeln eingehalten werden, anstatt alle Menschen vom öffentlichen, kontrollierbaren Raum in die eigenen vier Wände zu verbannen. Mal abgesehen von der Kontrollierbarkeit, fühlt man sich ein bisschen wie ein eingesperrtes Tier. Theoretisch darf ich nun wieder zu Hause leben, schlafen, arbeiten, Sport machen…. Zudem sind die Tage auch wieder kürzer, das Wetter schlechter. Wäre ich mittlerweile nicht so pyschisch stabil, ich würde wirklich vollkommen durchdrehen. Andere tun das womöglich.
Und ihr die sagt: „Es ist doch nur ein bisschhen Freizeit, nur ein bisschen Kultur.“ schämt euch! Wir leben nun mal in einer hedonistischen Welt. Kultur und Freizeit sind wichtig. Die Liste der Pro-Argumente wäre endlos. Nun bin ich selbst nur Laien-Musiker und kann nur ansatzweise erahnen, wie es denen geht, die mit Kultur ihre Brötchen verdienen. Und dennoch schmerzt es mich, weil Musik zu meinem Leben gehört, wie Essen und Trinken. Von heute auf morgen werden durch die neuen Regeln Pläne komplett zerstört. Veranstaltungen, die perfkt geplant und auf die Beschränkungen angepasst wurden, werden einfach abgesagt. Es ist ja „nur“ Kultur.

Nun mal weg von meinen persönlichen Befindlichkeiten. Dieser erneute Lockdown ist wirtschaftlich gesehen eine Katastrophe. Denn er entscheidet auch maßgeblich über das kommende Jahr. Für meine Branche ist die aktuelle Zeit eigentlich den Jahresplanungen vorbehalten. Aber wer macht soetwas schon in Zeiten der Unplanbarkeit. Ich kann mich privat mittlerweile damit abfinden, keine Pläne mehr machen zu können. Beruflich lässt es mich aktuell verzweifeln. Ich war so kurz davor, jemanden anzustellen. Alles lief widererwarten so toll. Und nun habe ich einer Person umsonst Hoffnungen gemacht und bin selbst ratlos und ängstlich, wenn ich an die Zukunft denke. Wird sich alles zum Guten wenden? Wer weiß das schon.

Und dann wäre da noch diese furchtbare Ungerechtigkeit. Die Spaltung unserer Gesellschaft in systemrelevant und… ja, was eigentlich? Nutzlos? Überflüssig? Die einen, die vor lauter Stress nicht wissen wohin mit all der Arbeit, die die das alles gar nicht juckt, weil sie einen sicheren Job haben und sogar noch Prämien bekommen und die, die von heute auf morgen vor dem Nichts stehen und plötzlich nicht mehr wissen, wie sie ihre Miete bezahlen sollen. Und beim Stichwort Soforthilfen gibt es leider viel zu viele, die durchs Raster fallen. Und stellt euch vor, nicht jeder kann einfach mal so Hartz 4 beantragen. Es geht nämlich nicht in jedem Fall nach dem Motto „Mach ich halt eine Pause und danach gehts weiter.“

Mir fehlen langsam die Worte. Ich weiß nicht mehr, ob ich lachen oder weinen soll. Ich gehe durch die Straßen und dieses flaue Gefühl im Bauch macht mich wahnsinnig. Das ist eine komische Welt, ich möchte darin nicht leben. Ich brauche meinen Hedonismus, mein Leben in freier Wildbahn. Ich kann sie nicht mehr hören die neuen Unwörter „systemrelevant“, „Mund-Nasen-Bedeckung“, „Abstand“, „Niesetikette“, „Infektionsgeschehen“…. Das macht mich krank.

Und was ich am meisten hasse, ist diese leicht agressive Stimmung in mir. Ihr merkt es. Wie gesagt, ich erkenne den Ernst der Lage und ich sehe den Handlungsbedarf. Aber es muss doch anders möglich sein. Ihr da oben, was habt ihr bitte den ganzen Sommer über gemacht? Gehofft und gebetet, dass alles nur ein schlimmer Traum war?
Ich bin innerlich schon lange weg von „es ist bald vorbei“. Das einzige, was dem Ende zugeht, ist meine Kraft. Aber ich halte durch. Irgendwie werden wir schon da durch kommen. Und vermutlich folgt auf Verzweiflung auch wieder Akzeptanz und am Ende mache ich das Bestmögliche daraus. Das machen wir alle.

7 Gedanken zu “Lockdown 2.0

  1. Ich teile Deine Ansichten in einigen Standpunkten und bin selbst auch vom zweiten Lock down betroffen. Allerdings finde ich die Reaktionen der Menschen sehr krass. Immer brauchen sie einen schuldigen im Außen und ein Thema, auf dass sie ihr Wut projezieren können, nur um nicht auf ihre Themen schauen zu müssen. Es gibt ja auch die Möglichkeit diese Situation jetzt als Gelegenheit und Chance zu nutzen, um sich auf das wesentliche zu besinnen und vielleicht auch neue Wege zu wählen und zu gehen. Vor allem frage ich mich, was wohl passieren würde, wenn unsere Politiker all diese Maßnahmen nicht ergreifen würden. Würden dann nicht die Menschen noch viel lauter aufschreien, weil eben nichts getan wird? Und selbst wenn diese Situation vorbei ist, wird es die nächste und danach wieder eine geben, wo Menschen sich über Dinge im Außen aufregen, die gar nicht zu ändern sind, statt bei sich selbst zu bleiben und zu spüren, dass es eigentlich nur die Angst ist, die sie treibt.
    Ganz liebe Grüße
    Nicole

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    • Ich stimme dir zu. Mittlerweile kenne ich mich ja. Es dauert noch ein paar Tage, dann habe ich mich wieder beruhigt
      Dann schaue ich auch wieder positiv nach vorn und werde die Zeit bestmöglich nutzen. Ich brauche immer meiner Trotzphase, dann geht es wieder. Auf sich selbst besinnen ist immer gut. Im Nachhinein hat der letzte Lockdown mich bereichert. Ich bin sich, das wird auch diesmal der Fall sein. Ändern kann ich sowieso nichts, abgesehen von Kontakten reduzieren.
      Angst ist leider menschlich. Aber wir können selbst entscheiden, ob sie Macht über uns bekommt oder andersrum.
      Liebe Grüße

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  2. Versteh den Trotz so gut! Soll mir mal einer logisch erklären, warum fleißig geshoppt werden darf, warum der MVG noch streiken kann, sodass sich die Menschen in die wenigen fahrenden Busse quetschen ohne Abstand, aber der Gang ins Museum oder ins Theater verboten sein soll. Und gerade im Theater kann man die Kontakte ja so gut zurückverfolgen wie kaum irgendwo sonst. Und die Fleischbetriebe durften mit Coronafallzahlen ja auch noch ewig weiter arbeiten, da sieht man die Prioritäten, weils Geld bringt, und das macht mich wahnsinnig wütend. Und traurig um die Kulturbranche, die es schon immer schwer hatte.
    Aber ich bin dennoch auch dankbar für unseren „Lockdown Light“, in unseren Nachbarländern ist es da ja viel strenger und schlimmer.
    Mir fehlt so langsam aber auch die Zuversicht, man wird so mutlos, weil uns das ja voraussichtlich noch eine halbe Ewigkeit beschäftigen wird und ich kann das Wort Corona einfach nicht mehr hören. Diese Infektionsangst, das Abstandhalten, das macht doch was mit der Psyche auf Dauer. Ich hab ein bisschen Angst vor den langfristigen Folgen …

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  3. Der- oder diejenige, die das Adjektiv „systemrelevant“ auf Personen anwenden gehören vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Diese Bezeichnung ist einfach nur menschenverachtend. Und ein Verstoss gegen Artikel 3 des Grundgesetzes sofern dieser Begriff Grundlage staatlichen Handelns ist.

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  4. Da stimme ich Dir zu, auch wenn Du Dich inzwischen wieder abgeregt haben dürftest. 🙂
    Dieses Wort „systemrelevant“ ist schlichtweg widerlich. Menschen einen „Wert“ zuzuordnen, ist es generell und aus historisch übelster Zeit ist es ein Unding, die Leute wieder in wertvoll und … zu unterscheiden.
    Abgesehen davon: sind wir nicht alle in dem Maße systemerhaltend, indem wir brav Steuern zahlen?

    Aber Du findest immer noch ausreichend Leute, die Freiberufler für welche halten, die „40 Jahre ihrem Hobby frönen und dann dem Staat auf der Tasche liegen“ – so habe ich das beim ersten Lockdown hier im Blogland gelesen.
    Vielleicht sollten alle Freiberufler und Soloselbständigen mal eine Woche persönlichen Lockdown drauflegen. Und dann möchte ich mal diese Nasen sehen, wenn kein Taxi fährt, der Spätshop geschlossen bleibt, nix mit Nagelstudio, mit Friseur, die Zeitung hat leere Blätter und (wei in meinem Fall) das Radio bleibt stumm.
    Ob die es dann mal merken?

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