#Männerwelten

Vor einigen Wochen sorgte ein Video der Comedians Joko und Klaas für reichlich Diskussionsstoff. Ich selbst bekam es von einer sehr guten Freundin, die es wiederum von ihrem Freund hatte. In dem Video wird man durch eine imaginäre Ausstellung geführt, orientiert an den bekannten „Körperwelten“. Dabei geht es aber um sexuell übergriffige Männer, um unangenehme Situationen, unangebrachtes sexuelles Verhalten etc. Ein paar C Promis kommen vor die Kamera und berichten über Erlebnisse aus ihrem Leben. Am Ende geht man aber auch noch einmal auf die Frau/das Mädchen von nebenan ein.

Als ich das Video sah, war ich skeptisch. Ja, das ist ein heikles Thema und ja, wir sollten darüber sprechen. Aber irgendwie missfiel mir die Art und Weise. Es wirkte teileweise plump und konstruiert. Ich konnte manches wirklich nicht ernst nehmen. Anderseits saß ich am Ende selbst heulend vorm Bildschirm, weil es eben doch etwas mit mir gemacht hatte und Erinnerungen hoch kamen. Am Ende des Clips sieht man im Ausstellungsraum an Schaufensterpuppen die Klamotten, die die Frauen trugen, als sie vergewaltigt wurden. Da war kaum etwas Anzügliches oder übermäßig Aufreizendes dabei. Die letzte Puppe trug einen Pyjama. Ich bekam Gänsehaut und das war auch mein Triggermoment, der mich kurz in meine Kindheit und Jugend zurück warf. Tja, so sehr ich immer denke, dass mich das nicht mehr aus der Bahn wirft, so sehr überrascht es mich dann auch wieder, wenn es passiert. Jedenfalls habe ich danach ein paar Wochen gebraucht, um die Bilder wieder ganz weit nach hinten zu schieben.

Ich hatte das Video schon fast vergessen, als auf Instagram dieses „Bestästigungs-Bingo“ von NeverNot gespostet wurde. Ihr könnt das gerne einmal Googeln oder Ecosian oder Bingen. Dort findet man 15 Felder mit Aussagen darüber, was frau schon an sexueller Nötigung erfahren hat. Das Bingo-Prinzip ist bekannt. Man kreuzt das an und postet das dann in seiner Story. Aufmerksamkeit garantiert! An sich ist die Idee nicht verkehrt. Ich bin auch der Meinung, dass wir darüber sprechen sollten, offen sein sollten, nicht tabuisieren. Aber doch bitte nicht so, Leute! Es bringt mir nichts und es hilft mir auch nicht, wenn die ganze Welt um meine Traumata weißt. Zumal dieses Bingo-Spiel an sich schon für 1000 andere Sachen verwendet wurde. Es macht die ganze Sache beinahe etwas lächerlich. Meiner Meinung nach ging das ziemlich nach hinten los. Zumal ich glaube, dass man hier vollkommen die Falschen involviert. Denn die, denen es wirklich scheiße geht, die sitzen immer noch zu Hause und heulen sich die Augen aus oder schlitzen sich die Arme auf. Ich finde es ja gut, wenn man suggeriert, dass es okay ist, darüber zu sprechen. Aber das ist nicht mal ein Finger, den man den Opfern reicht. Opfer brauchen starke Arme. Im schlimmsten Falle sorgt diese Aktion nur für noch mehr Isolation.

Seid froh, wenn euch nichts passiert ist, was euch vielleicht euer Leben lang traumatisiert. Seid froh, wenn ihr immer noch unbeschwert Beziehungen eingehen könnt. Seid froh, wenn ihr euren Körper lieben und annehmen könnt und wenn ihr Sex genießen könnt. Seid nicht nur froh, seid dankbar.

Nur weil es mal wieder Thema ist, ist es noch lange nicht hip und cool belästigt worden zu sein. Denn das führt unweigerlich dazu, dass die richtigen Opfer am Ende weniger ernst genommen werden. Wollt ihr das?

Ich sage nicht, dass ich irgendetwas bagatellisieren will. Ich sage nur, man muss differenzieren. Natürlich kennt es so ziemlich jede Frau, dass ihr mal hinterher gepfiffen wurde. Das fühlt sich manchmal komisch an. Aber wir sollten uns fragen, ob wir es nicht manchmal auch darauf anlegen, wenn wir uns sexy kleiden. Ich selbst liebe es, zu polarisieren. Dann darf ich mich am Ende aber nicht beschweren. Auf der anderen Seite und das sagt uns dieses Video auch, kommt es nicht darauf an, was eine Frau trägt. Am Ende beschützt uns auch der noch so laberige Pyjama nicht. Wenn ein Mann Absichten hat, wird er es tun. Insofern brauchen wir mehr als nur ein Bullshit-Bingo, um uns vor Übergriffen zu schützen. Idioten wird es nämlich immer geben. Wir sollten einfach mal nachdenken, was wirklich hilft anstatt mal wieder irgendeinen Medienhype vom Zaun zu brechen. #metoo hat nach kurzer Zeit auch keinen mehr interessiert.

Andererseits: fragen wir uns mal, was wir den Männern antun, wenn wir sie für jede kleine anzügliche Geste verteufeln und zum Triebtäter machen. Die Männer werden unsicher. Die Grenzen zwischen okay und nicht okay verschwimmen. Am Ende weiß keiner mehr was richtig und was falsch ist. Und am Ende werden womöglich die Falschen bestraft. Denn ich glaube, die wirklich schlimmen Vergehen passieren hinter verschlossenen Türen. Und die Opfer wären am Ende froh, wenn es „nur“ ein Pfiff gewesen wäre. Versteht mich nicht falsch, es gibt wahrlich keine Skala, die schlimm von weniger schlimm trennt. Aber differenzieren muss man eben.

Also reißt euch ein bisschen zusammen Jungs und Mädels und geht die Sache realistisch an. Und vor allem, beschäftigt euch mit dem, was wirklich wichtig ist. Ich habe das Gefühl es schreien die Unwichtigen hie, während der Rest immer noch schweigt. Das ist leider nicht der richtige Weg.

Und jetzt bin ich sehr gespannt, ob meine Ehrlichkeit den ersten Shitstorm über mir zusammen braut.
Bitte versteht mich nicht falsch. Aber eine Medaille hat eben immer zwei Seiten.

2 Gedanken zu “#Männerwelten

  1. Dein Beitrag ist doch kein Anlass für einen Shitstorm. Du hinterfragst und regst zum Nachdenken an.
    Ich finde nur den einen Satz „legen wir es nicht manchmal darauf an…“ in der Verknüpfung mit sexy Kleidung daneben. Männer bewusst herauszufordern, Grenzen zu überschreiten ist was ganz anderes als wenn eine frau sich sexy kleidet um zu zeigen „was sie hat“. Beides gibt gibt mir aber noch lange nicht das Recht, respektlos oder gar übergriffig zu werden,

    Gefällt 1 Person

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