Jahresrückblick

Ich wäre nicht ich, wenn ich nicht wieder ein äußerst turbulentes Jahr hinter mir hätte. Wenn ich mir ansehe, wie ich emotional in dieses Jahr gestartet bin und wo ich jetzt stehe, dann würde ich behaupten, dass ich in den letzten 12 Monaten einen emotionalen Reifeprozess durchlaufen habe und meine Fortschritte bisher wohl nie so gravierend waren.
Im Januar war ich noch zart besaitet und voller Hass, Angstgedanken und Verachtung über meine gescheiterte Ehe und meinen gestörten Ex-Mann. Noch immer plagten mich die alten Geister meines kurzen Ehelebens und meine kurze unglückliche Beziehung mit dem Koch. Ich war sowas von instabil. Aber ich arbeitete an mir und meiner Beziehung zu mir selbst. Ich suchte mir einen Therapeuten, fest entschlossen, Ordnung in mein Gedankenkarussel zu bringen.

Es gab immer wieder gute Tage und weniger gute. Aber langsam kam ich wieder heraus aus meinem Schneckenhaus, ich ging auf Dates und stürzte mich wieder in das ein oder andere Abenteuer. Ich war auf der Suche. Auf der Suche nach Liebe, nach Gefühl, nach dem nächsten Kick. Ab und zu kam der Kick. Manchmal blieb ich ernüchtert zurück. Enttäuscht über mich, meine Gefühle, die Welt…einfach alles.
Ich arbeitete weiter an mir, meiner Vergangeheit und befasste mich auch mit unangenehmen Themen. Ich wuchs jeden Tag und an jeder Herausforderung ein Stückchen mehr. Und ich erlangte zumindest zeitweise so etwas wie Stabilität.

Und dann machte ich langsam meine ersten unsicheren Schritte in Richtung Kinky-Lifestyle. Ich kam endlich wieder voran, ich entwickelte mich. Und mit mir entwickelten sich auch meine Beziehungen. Sie veränderten sich. Einige gingen, einige blieben und einige neue kamen hinzu. Ich genoss diesen neuen Teil von mir, der mit jedem Erlebnis ein bisschen selbstbewusster wurde.

Ob ich alles unter Kontrolle hatte? Lange nicht! Immer wieder drifteten meine Gedanken ab, wurden düster und hingen in Vergangenem fest. Ich hatte längst nicht alles verarbeitet und längst nicht verziehen (würde ich das je können?) und ich war insgesamt noch nicht wirklich gut in diesem auf mich selbst achten. Eskalationen gab es zu dieser Zeit ohne Ende. Und es gab auch neue Verluste (zu verarbeiten)… Ich drehte mich lange um mich selbst. Hatte Zweifel, verzweifelte. Mit der Scheidung im Mai erreichte dieses Gefühlschaos seinen Höhepunkt. Panikattacken waren keine Seltenheit. Aber es wurde danach auch endlich wirklich besser. Ich stabilisierte mich wirklich. WIRKLICH! Es war, als wäre mit diesem bürokratsichen Akt endlich alles von mir abgefallen. Und ich genoss meine Freiheit in vollen Zügen. Ich tastete mich langsam vor und ich lernte Schritt für Schritt, auf meinen Körper und seine Bedürfnisse zu  hören. Und ich merkte, wie sich meine Wahrnehmung veränderte und insgesamt alles ein bisschen sonniger wurde. Und mit der magischen 33 machte dann auch mein sexuelles Selbstbewusstsein wieder einen ordentlichen Satz. Ich lernte, mich gehen zu lassen, Lust zu haben und zu spüren, zu genießen, ohne Reue, ohne Frust. Und plötzlich veränderten sich auch die Beziehungen, die ich führte. Sie wurden offener, sexueller und verloren gleichzeitig nicht den Tiefgang, der mir wichtig ist. Sie waren aber auf eine gewisse Art und Weise entspannter, befriedigender und erfüllender. Sie machten mich glücklich wie nie zuvor. Ich kannte plötzlich kaum noch negative Gefühle wie Eifersucht. Je mehr Vertrauen ich in meine Beziehungen steckte, umso schöner wurden sie. Die Sicherheit machte Eifersucht komplett unnötig. Und schon bald hörte ich mich sagen, dass ich mit meinem Privatleben noch nie so zufrieden war. Es war GENAU, was ich brauchte.

Ich merkte, was mir gefehlt hatte und als die Scheidung endlich hoch offziell durch war, habe ich tatsächlich so etwas wie Vergebung meinem Ex-Mann gegenüber gespürt. Und Freiheit. Und Dankbarkeit. Irgendwie.

Aber, dass Karma eine Bitch ist, merkte ich recht schnell. Also irgendetwas schlimmes muss ich verbrochen haben. Denn als endlich so etwas wie innere Ruhe und Frieden spürbar war, ging der Stress mit meinem Job los und mal wieder war meine Welt über Nacht eine andere geworden. Und ich musste jetzt plötzlich ganz allein auf meinen Beinen stehen. Es fühlte sich an, wie erwachsen werden über Nacht. Was folgte, waren stressige Arbeitswochen, Wochen der Ungewissheit, Tage, die mir unendlich viel Kraft abverlangten und Wochenenden an denen ich gehörig eskalierte (aber diesmal auf positive Art und Weise). Aber, da ich Rückschläge ja mittlerweile kenne, weiß ich auch mit ihnen umzugehen. Und so sehr das alles an mir zehrte, versuchte ich in kürzester Zeit meinen Fokus zu verändern und nach vorn zu sehen. Ich bin ein Stehauf-Weibchen. Was mich nicht tötet, macht mich stärker und aus Scheiße gold machen kann ich.

Je größer meine berufliche Verantwortung wurde, umso stärker der Wunsch nach Entspannung und Abschalten. (Oder auch positive Eskalation) Wie? Mit Sex natürlich. Und so begann meine Zeit der Kinky-Partys, auf denen ich viele unglaublich tolle und liebe Menschen kennen lernte und noch mehr unglaublich tollen Sex und andere sexuelle Spielarten kennen lernte. Und wieder lernte ich eine Menge über mich selbst, meine Bedürfnisse und Vorlieben. Ich unterwarf mich denen, die meine Meister sein wollten und probierte selbst meine dominante Seite aus. Ich ertrug Schmerzen, bis sie mich fast wahnsinnig machten und brach mit der ein oder anderen gesellschaftlichen Konvention.
Nicht zu vergessen: meine Scheidungsparty! Der inbegriff der Eskalation.

Ich begann endlich wieder so richtig zu leben. Ohne diese depressiven Phasen. Ich war zwar oft erschöpft und gestresst, aber ich ertrug es, ohne zu verzweifeln. Ich schaffte es immer wieder, genug Kraft nachzutanken, um weiter machen zu können. Und immerhin ist sexuelle Aktivität auch keine Verpflichtung. Ich hatte auch meine schlechten Abende, meine asexuellen Tage. Andererseits entdeckte ich neue Dimensionen des Sex. Ich definierte langsam aber sicher ein Ich, welches ich über alles liebte. Ich gefiel mir, ich war gern Chefin und Schlampe und ich ließ mir vor allem von nichts und niemandem rein reden. Und ich denke, dieses Selbstbewusstsein strahle ich auch aus und genau das macht mich sehr attraktiv. Ich habe mir ein tolles Netzwerk aufgebaut, Freunde, Kollegen, Liebhaber…. Und liebe jeden einzelnen auf eine individuelle Art und Weise. Manchmal habe ich sogar ein wenig Herzklopfen und Kribbeln im Bauch. Es macht mich glücklich, weil ich lange Zeit Zweifel hatte. Ich war mir nicht sicher, ob diese Beziehungen nicht alle nur oberflächlich waren. Ohne Gefühl, ohne mehr. Aber da ist mehr, ich spüre es.

Ich lerne seither dabei fast jeden Tag etwas dazu. Zum Beispiel, dass es nie verkehrt ist, Menschen eine zweite Chance zu geben. Ich merke aber auch, dass dieser Kinky-Lifetsyle verdammt anstrengend sein kann. Irgendwie wurden meine sozialen und sexuellen Interaktionen plötzlich so viel, dass ich Angst hatte, den Überblick zu verlieren.
Dass ich nicht mehr hinterher kam. Und meine Reaktion war Flucht. Und immer wenn ich merke, dass irgendetwas fragil ist, kommen die alten Geister wieder. Verlustangst, Angst vor Kontrollverlust. Aber das ist okay. Sie dürfen kommen und gehen. Dann schreibe ich in Gedanken eben noch einen Brief an meinen Ex-Mann. Ich will nur sagen, dass ich von „perfekt“ noch ziemlich weit weg bin. Und nur weil ich tolle Beziehungen und eine super Karriere habe, eben lange nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen ist. Mittlerweile kenne ich viele der Tücken des Lebens. Vielleicht macht mich das ein bisschen abgebrühter, mit Sicherheit aber sehr viel realistischer.

Ich glaube, ich bin auf einem guten Weg eine Balance zu finden, zwischen den Dingen, die ich mag und die mir wichtig im Leben sind. Manchmal sehne ich mich nach Gefühl und manchmal will ich einfach lieb ficken.
Vor allem aber will ich ich selbst sein. Und wer will schon perfekt?!

 

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