Sehnsucht nach Gefühl

Es ist mal wieder Dezember, mal wieder beginnt die sogenannte „besinnliche Zeit“. Ich fühle mich überhaupt nicht besinnlich. Ich fühle mich gehetzt und gestresst. Ich habe den Tag voll mit Terminen und die Nacht voller Gedanken und komme irgendwie überhaupt nicht zur Ruhe. Und wenn ich mal Ruhe habe, dann bin ich innerlich rastlos, unruhig, regelrecht nervös. Ich habe Angst, etwas zu verpassen. Ich habe Angst, nicht jede Minute bis aufs Letzte zu nutzen. Nichts tun endet in schlechtem Gewissen. Dies gilt es zu betäuben, dann merkt man es nicht ganz so sehr.

Seit ich denken kann, mochte ich die Weihnachtszeit. Sie war immer so besonders, so voller Glitzer, Geheimnis und Gemütlichkeit. Und ich versuche jetzt mit allen Mitteln dieses Gefühl in mir zu erwecken. Ich habe meine Wohnung geschmückt, höre Weihnachtslieder und zünde Räuchererzen an. Außerdem trinke ich Glühwein ohne Ende. Es nützt nichts. In mir weihnachtet es nicht. Und diese aufgedrängte Pause zwischen den Jahren passt mir überhaupt nicht in den Kram.

Ich habe das Gefühl, Weihnachten ist nur für Verliebte. Die sitzen dann sonntags zusammen gemütlich auf der Couch, kuscheln und sehen Weihnachtsfilme.
In diesen Momenten sehne ich mich danach, verliebt zu sein. Einfach nur nach dem Gefühl. Diese Sehnsucht ist aber ziemlich heimtückisch. Denn es könnte sein, dass ich dann Zuneigung, Freundschaft und Aufmerksamkeit mit Veliebtsein verwechsle. Einfach nur, weil ich mich nach diesem Kribbeln sehne. Und weil es gerade jemanden gibt, der mich zum Lächeln und meine Eingeweide zum Kribbeln bringt. Aber woher soll ich wissen, dass es nicht nur ein Vorgaukeln ist? Mein Körper und meine Gefühle betrügen mich ganz gern einmal.
Oder habe ich mal wieder einfach nur Angst?

Das Problem ist das alte. Ich kann und will niemanden an mich heran und in mein Herz lassen. Auch, wenn ich mich danach sehne. Ist es zu nah, gehe ich auf Abstand. Und gleichzeitig schnürt es mir die Kehle zu, wenn ich das Gefühl bekomme, derjenige könnte mich plötzlich verlassen. Es ist zum Verrücktwerden.
Und jedes Mal, wenn ich seinen Namen auf meinen Handy aufblitzen sehe, macht mein Herz einen Sprung, als würde es kurz aussetzen.
Ich drehe wirklich ein bisschen durch. Und ich merke, dass er mir eben einfach nicht gleichgültig ist und mehr ist als mancher andere.
Woran ich das merke? Er hat die Macht, mich zu verletzen und das hat er sogar schon mehr als einmal getan, natürlich nicht vorsätzlich, aber es schmerzte.
Noch ein Grund mehr, nicht zu viel Nähe zuzulassen. Nähe macht verletzlich.

Das Witzige ist: wir sind uns beide ziemlich ähnlich. Das habe ich so lange nicht mehr erlebt. Seine Ängste sind meinen nicht unähnlich. Er hat Angst, dass er in unserer Beziehung nur geben könnte und nicht bekommt, was ihm wichtig ist, weil er sich nicht traut, nach dem zu fragen, was er gerne möchte. Tja, aber so funktionieren Beziehungen eben im Normalfall. Er hat Angst, dass ich ihn sogar hassen könnte, wenn es um ihn geht (und nicht um mich). Im Sinne von, er möchte gern seine Bedürfnisse ausleben, traut sich aber nicht, diese in den Fokus zu rücken, obwohl er weiß, dass ihn alles andere unglücklich macht auf kurz oder lang. Da fragt man sich natürlich, was hat der arme Mann schon alles erlebt, dass er solche Ängste hat?
Fakt ist, ich mag ihn so wie er ist sehr gern. Er spricht oft von Unsicherheit. Ich finde, die merkt man nicht. Und ich vertraue ihm.

Zugleich muss ich zugeben, dass seine Aussage mich verletzte. Weil es sich im ersten Moment so anfühlte, als wären diese Ängste explizit mit mir verbunden. Ich denke, dem ist nicht so. Und gleichzeitig war da eben gleich wieder diese Verlustangst. Da fühle ich mich einmal einem Mann nah (näher als sonst), von dem ich anfangs nie gedachte habe, dass ich ihm so nah kommen würde und dann sowas. Es fühlte sich nämlich so an, als würde es bedeuten, dass unsere Beziehung keine Chance hat, wenn er nicht bekommt, was er möchte bzw. wir keinen Konsens finden. Vermutlich ist das dann auch so. Oder nicht?
Ach man, Beziehungen sind echt kompliziert.

Irgendwie ist das alles für mich auch nicht so richtig griefbar. Ich habe das Gefühl, in ihm steckt vieles, was er gerne aussprechen würde, aber er tut es nicht. Ich bin neugierig und habe Angst. Ich habe Angst, dass es mich wirklich überfordern könnte. Ich habe Angst, dass ich ja sage, obwohl ich ihm nicht geben kann, was er braucht. Und ich habe Angst, ihn zu verlieren.

Er ist einer der Menschen, dem man verzeiht, dass er zu spät kommt oder man wegen ihm drei mal durch den ganzen Kiez fährt, weil er sich in der U-Bahn Station geirrt hat. Weil er einen dann mit seinen tollen Augen ansieht und anlächelt, einen fest in den Arm nimmt, einen küsst und seine Wange hinhält, um geküsst zu werden. Und seine Haut fühlt sich unter meinen Lippen so weich an. Und dann macht er einen von seinen Witzen, die ich erst beim zweiten Mal verstehe oder eines seiner komischen Wortspiele, die manchmal echt überzogen sind und ich muss trotzdem lachen. Und wenn er weg ist, bin ich traurig und gleichzeitig grinse ich über das ganze Gesicht und schreibe ihm, wie schön es war, ihn gesehen zu haben, auch wenn es nur kurz war.
Er ist einer, mit dem ich mich spontan verabrede, wenn ich eine Stunde Zeit habe, nur um kurz bei ihm zu sein. Dann hält er mir seinen Kopf hin und will gekrault werden. Er ist jemand, dem ich mich öffnen will und dem ich sagen möchte, wie toll ich ihn finde. Er ist jemand, dem ich beim Sex tief in die Augen schauen will. Den ich mit jeder Faser meiner Körpers in mich aufnehme und jede seiner Berührungen genieße.

Und dennoch stelle ich mir die Frage: ist das alles echt? Oder ist es wieder nur eine Euphorie, die vorbei geht? Heroisiere ich ihn? Auch das macht mir Angst. Bin ich denn schon soweit? Wie weit? Und ist es das, was er auch empfindet?
Über den Sex, den ich so innig und schön fand, sagte er, es habe sich komisch, fremd und mechanisch angefühlt. Ticken wir also doch ganz unterschiedlich?
Bin ich zu ungeduldig? Was ist da schon wieder los? Sehnsucht nach Gefühlen?
Ich weiß es nicht und gefühlt habe ich eigentlich auch gar keine Zeit dazu, nicht mal darüber nachzudenken.
Aktuell renne ich nur von einem Tag zum anderen. Von Termin zu Termin und zwischendurch eine Party, um kurz völlig auszurasten. Was ist das gerade für ein Leben? Und warum bin ich nie ganz zufrieden? Immer so sehnsüchtig? Immer süchtig?
Es ist mein Leben. Und es ist ziemlich weit weg von perfekt. Aber auch irgendwie verdammt nah dran. Und wer will schon perfekt?

Ich will mich eigentlich nicht beschweren. Ich mag ein bisschen Chaos, es gehört zu mir. Aber Chaos ist eben auch ganz schön anstrengend. Und manchmal wäre ein wenig Stabilität ganz gut. Aber gibt es da einen guten Kompromiss? Oder gibt es nur ganz oder gar nicht? Oder kenne ich einfach noch nicht, was ich suche? Oder sehe ich es einfach nicht?
Ich finde gerade keine Antworten. Und ich denke, dass ich mir die (wenn überhaupt) nur selbst geben kann. Zumindest sollte ich sie nicht bei anderen suchen.
Also zünde ich meine erste Kerze auf dem Adventskranz an und höre Weihnachtslieder, in der Hoffnung, dass die besinnliche Stimmung kommt und ich endlich ein wenig zur Ruhe komme.