Romantik vs. Verletzung

Im Moment schweifen meine Gedanken wieder häufiger in die Vergangenheit. Vielleicht liegt es daran, dass kürzlich die Scheidung eingereicht wurde und ich jetzt auf heißen Kohlen sitze und warte, was da noch auf mich zukommt. Ich bin einerseits erleichtert, endlich die letzten Altlasten loszuwerden, endlich wird ein Kapitel geschlossen. Jetzt kommt nur noch der finale Akt. Im Grunde sehe ich das alles auch sehr nüchtern. Das Schlimmste ist überstanden. Trotzdem kommen gerade jetzt immer wieder Gedanken und Gefühle hoch und der allgemeine Schmerz wird wieder spürbar. Ich versuche, mich dem zu stellen und es so hinzunehmen, wie es eben kommt.

Meine Gedanken schweifen zurück… Zurück zu unserem Roadtrip nach Danzig im Herbst 2016. Wir hatten uns gerade wieder zusammen gerauft und beschlossen spontan einen Kurztrip nach Polen zu unternehmen. Es war romantisch. Wir fuhren mit dem Auto mitten in der Nacht los, schliefen zwischendurch auf einem verlassenen Rastplatz und erreichten am Morgen die polnische Ostsee. Wir übernachteten in einem urigen Hostel und aßen in einem Restaurant mit Blick auf den Fluss und ein wunderschön beleuchtetes Riesenrad.

Am zweiten Tag sagte er, er müsse unterwegs in der Stadt etwas abholen. Ich wurde neugierig. Was könnte das sein? Als ich in seinem Handy ein Restaurant suchte, ploppte eine Seite über Ringgrößen auf. Ich tat, als hätte ich nichts gesehen. Ich hatte doch erst einen Tag zuvor zu meiner besten Freundin gesagt, dass ich im Moment niemals Ja sagen könnte, wenn er mich fragen würde. Dieses „Abholen“ wurde dann tatsächlich zu einer kleinen Odyssee. An der ersten Adresse befand sich der Hinweis zu einer zweiten. An der zweiten war niemand zu finden. Beim dritten Versuch, kam er endlich mit einem kleinen Päckchen zurück. Es sei eine Überraschung, wann ich die bekäme, wüsste er auch noch nicht. Ich wurde nervös.
Am Abend entschieden wir uns, zu einer Fahrt auf dem Riesenrad. Es war toll und unglaublich romantisch. Ich merkte, wie er immer nervöser wurde, er wollte mich die ganze Zeit küssen… Und dann… Kniete er sich hin, hielt mir einen Ring mit einem grünen Saphir unter die Nase und fragte, ob ich seine Frau werden möchte. Ich war so überwältigt von dem Moment, der wirklich besonders war und ergriffen von seiner Leidenschaft, dass ich vor lauter Verwirrung tatsächlich Ja sagte. Immerhin musste er es ja wirklich ehrlich und ernst meinen, wenn er so einen Schritt geht. Außerdem plante er das offensichtlich seit Wochen, nämlich schon bevor wir überhaupt beschlossen hatten, nach Danzig zu fahren. Der Ring war ein handgefertigtes Unikat, den er direkt bei dem Künstler, bei dem er ihn vor Wochen bestellt hatte, abholte, weil es sich eben so wunderbar ergeben hatte. Diese kleine Schnitzeljagd war also eher ein Zufall, führte aber dazu, dass wir zu unserer Verlobung eine tolle Geschichte erzählen konnten. Wir feierten den Abend mit Wein, den wir uns eigentlich nicht leisten konnten und besuchten noch einen polnischen Studentenclub. Auch die restlichen Urlaubstage waren toll, unbeschwert, glücklich. Wir waren beflügelt von unseren Gefühlen und davon nun verlobt zu sein. Alle Probleme aus der Vergangenheit waren nichtig.

Im Nachhinein hätte ich lieber gleich Nein gesagt. Hätte lieber noch einmal darüber nachgedacht. Hätte lieber mal an das gedacht, was ich meiner besten Freundin zuvor gesagt hatte. Aber die innerliche Euphorie war zu groß. Zu sehr wollte ich etwas, was ich eigentlich nicht wollte, nur um es… Ja, wem eigentlich… recht zu machen? Wem wollte ich eigentlich etwas beweisen?

Es war ein Fehler. Ich war nicht ehrlich zu mir selbst. Doch wer hätte ahnen können, dass wir nicht einmal drei Jahre später zwar verheiratet aber auch schon wieder so gut wie geschieden sind.

Zurück bleibt immer noch das dumpfe Pulsieren von Trauer und Wut. Nein, ich habe keine Wut auf ihn. Es ist eher Wut auf die Sache an sich, über die verlorene Zeit und die zeitweise verlorene Elli. Es ist Trauer über all die Tränen, die vergossen wurden und die Demütigung, die ich ertragen habe, Trauer über die verschwendete Hochzeit. Es ist Trauer über die Wut und Wut über die Trauer.
Aber wäre ich lieber dauerhaft unglücklich gewesen? Nein, das kann ich mit Sicherheit sagen. Denn irgendwann wäre mir aufgefallen, dass diese Liebe keine echte war und dass es unmöglich gewesen wäre, mit ihm glücklich bis ans Lebensende zu sein – wenn ich es überhaupt jemals wirklich war.

Und jetzt? Es geht mir besser. Aber auch, wenn ich mit meinem Leben im Moment glücklich bin, frage ich mich, wie es weiter geht, wo mich all das, all die Erfahrungen hinführen. Bin ich abgestumpft? Bin ich müde? Bin ich vielleicht sogar mittlerweile zu egoistisch, um einen Menschen aufrichtig lieben zu können?
Nein, ich glaube nicht. Vielleicht liebe ich jetzt sogar aufrichtiger als jemals zuvor, weil ich mir nicht mehr alles gefallen lasse, weil ich Liebe ganz anders definiere. Weil ich weiß, was ich will und versuche das, was ich nicht will, von mir fern zu halten. Weil ich Ehrlichkeit, Beständigkeit und Verlässlichkeit mehr denn je zu schätzen weiß. Und weil ich weiß, dass ich niemandem etwas beweisen muss, dass ich es niemandem recht machen muss. Und weil ich keine Entscheidungen mehr nur aus romantischen Beweggründen treffe. Romantik ist nett, das ist aber auch schon alles. Romantik ist eine Momentaufnahme, die verblasst. Romantik vernebelt einem die Sinne. Und wofür? Damit man am Ende eine tolle Geschichte erzählen kann? Nein, danke. Danke für nichts.

8 Gedanken zu “Romantik vs. Verletzung

  1. Romantik ist mit Leidenschaft verbunden. Auch Eros genannt. Leidenschaft ist eine unstete Kraft und eben sexuelle Motivation, schnell dem Wandel unterlegen. Tiefe Liebe ist still und ruhig. Eine andere Schiene der Liebe. Wir verwechseln oft Eros mit anderen Formen der Liebe. Ist interessant drüber nachzudenken.

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      • Total! Kann das kaum differenzieren ehrlich gesagt. Wie auch, man bekommt es ja in unserer Kultur so beigebracht, dass Leidenschaftlich motivierte Liebe diese lebenslange Liebe zu sein hat. Sprich körperliche Anziehung und Sex zu lebenslanger Bindung führen. Sex kann eine Bindung verstärken, aber ohne Tiefe gibt es keine Stabilität. Die gibt es in der Leidenschaft aber kaum. Ganz selten tritt mal beides zusammen auf. Was wir konventionell große Liebe nennen ist aber meist Sex-motiviert.

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