Die Eskalation

Heute scheint mir ein guter Tag zu sein, um mich endlich einem Thema zu widmen, welches mir schon eine ganze Weile unter den Nägeln brennt.
Vor ein paar Monaten besuchte ich beruflich ein Ausbilder-Seminar. Wir behandelten dort viele psychologische Themen, wie Gesprächsführung, Kritik, Feedback usw. und sprachen dabei auch über das Ebenenmodell der Konflikteskalation nach Friedrich Glasl. Wir begannen das Thema mit einer Geschichte eines Ehepaares, die wir in verteilten Rollen lasen. Alles fing mit einem kleinen Streit über das richtige Ausdrücken der Zahnpastatube an und endete in der völligen Vernichtung zweier Leben. Das war natürlich alles ganz schön überspitzt dargestellt und einige Seminarteilnehmer meinten, so etwas es gäbe es ja gar nicht im wirklichen Leben. Und ich dachte nur still und leise „Oh doch, genau so etwas gibt es“. Denn gerade zum Zeitpunkt des Seminars hatte ich die komplette Eskalation zwischen mir und meinem Ex gerade einmal wieder entschärft.
Natürlich konnte ich für den Rest des Seminars die ganze Thematik nur schwer auf meinen beruflichen Alltag beziehen und meine Gedanken suchten immer wieder die Parallelen zu dem, was bei mir privat grad so richtig schief lief. Und schon damals wusste ich, ich muss das Ganze für mich mal so durchanalysieren. Also hier kommt sie nun, die Analyse meiner scheiternden Ehe anhand der 9 Esklationsstufen nach Glasl.

Stufe 1 – Verhärtung:
Hier beginnen spannungsgeladene Konflikte, Meinungen prallen aufeinander, allerdings ist das Ganze so alltäglich, dass es zunächst gar nicht als Konflikt wahrgenommen wird. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, begann diese Stufe bereits Ende 2017 gar nicht allzu lang nach der Hochzeit. Nämlich in dem Moment, als ich realisierte, dass er eigentlich schon wieder das Weite suchte und es da eine andere Frau gibt. Ich habe das damals wirklich nicht so wahrgenommen, aber ja…damit fing der ganze Spaß an.

Stufe 2 – Debatte:
Die Debatte ist dann schon ein wirklich offener Streit, bei dem versucht wird, den Gegenüber von der eigenen Meinung mit Argumenten zu überzeugen. Von diesen Gesprächen gab es reichlich, als er eigentlich schon aufgeben wollte und wir doch noch irgendwie verzweifelt versuchten irgendwas zu retten, indem wir stundenlang diskutierten und einfach niemals auf einen gemeinsamen Nenner kamen. Was zu einem nahtlosen Übergang in Stufe 3 führte.

Stufe 3 – Taten statt Worte:
Mir wurde bei all den Debatten relativ schnell klar, dass ich bei ihm nicht bleiben kann. Also handelte ich und teilte ihm mit, dass ich ab sofort bei einer Freundin wohnen würde. Ich fragte ihn nicht um Erlaubnis, ich packte einfach meine Sachen und ging, weil es bei ihm einfach nicht mehr auszuhalten war. Hinzu kamen auf meiner Seite treffen mit einem „alten Freund“, erste Dates…auf seiner Seite die verstärkte Hinwendung zu seiner Arbeitskollegin und schließlich ihr Einzug in meine Wohnung und mein Schlafzimmer. Kommunikation in dem Sinne gab es nicht mehr. Wozu auch? Sie führte nur zu immer heftigeren Konflikten, weil keiner den anderen mehr verstehen konnte oder wollte.

Bei den ersten drei Stufen spricht Glasl noch von der Win-Win-Ebene. Trotz festgefahrener Standpunkte, hat man hier noch immer die Chance, die Kurve zu kriegen und keiner der beiden Partner trägt einen größeren Schaden davon. Also beide können am Ende noch „Gewinner“ sein. Das wird mit Stufe 4 schon anders, wenn wir die Win-Lose-Ebene betreten.

Stufe 4 – Koalitionen:
Jetzt – spätestens – fingen wir an uns Verbündete und Sympathisanten zu suchen, mit dem Ziel den Gegner zu denunzieren. Es ging gar nicht mehr darum, wer recht hatte. Es ging nur darum, den anderen schlecht zu machen. Ich habe in der Zeit kein gutes Haar an ihm gelassen und sicher auch viele Situationen und Aussagen für mich so hin gedreht, dass er in den Augen anderer nie wieder in gutem Licht wird erscheinen können. Das war meine innerliche Genugtuung. Was er so über mich erzählt hat, weiß ich natürlich nicht. Ich weiß nur, dass seine Familie mich ebenso schnell aus ihren Leben löschte, wie meine ihn. Insofern, wird das wohl auch nichts Gutes gewesen sein.

Stufe 5 – Gesichtsverlust:
Nun beginnen wir die Vernichtung der Identität des anderen mit Hilfe von Anschuldigungen und Unterstellungen. So durfte ich mir immer wieder anhören, dass es ja alles meine Schuld gewesen wäre, weil ich ja ausgezogen bin. Ich hingegen wurde mir immer sicherer, dass er mit ihr schon lange eine Affäre hatte, was ich ihm natürlich auch nicht verheimlichte. Zudem fingen wir jetzt auch an, uns gegenseitig Steine in den Weg zu legen. Das begann beim Thema Geld, wo es zunächst nur um kleine Summen ging und ging dann soweit, dass er mich mit allen Dingen, die meinen Teil der Wohnungsauflösung betrafen, komplett im Regen stehen ließ, mit den Begründung, er habe darauf keine Lust oder Zeit oder sonst was. Dabei hatten wir uns wenige Wochen zuvor noch versprochen, die ganze Sache zumindest bis zum Ende auch als Team durchzuziehen. Aber davon fehlte hier schon jede Spur. Wir hatten beide unsere moralische Glaubwürdigkeit verloren.

Stufe 6 – Drohstrategien:
Diese Stufe schloss sich direkt an Stufe 5 an. Es ging um banale Sachen, wie z.B. dass ich mehr oder weniger spontan das Passwort meines Amazon-Accounts änderte, den wir bis dahin zusammen genutzt hatten. Nachdem er mir auf meine bestellte Unterwäsche einen blöden Kommentar drücken musste, erhielt er von mir kurz die Drohung und am nächsten Tag änderte ich direkt das Passwort. Es war mir egal, dass er noch nicht die Gelegenheit hatte, sich seine gemerkten Produkte aufzuschreiben. Er war von der Aktion natürlich überhaupt nicht begeistert. Wir versuchten ein letztes Mal eine gewisse Art von Kontrolle über den anderen zu erlangen. So verschaffte er sich noch einmal Zugang zu unserem gemeinsamen Konto, nur um sehen, dass ich dieses bereits geleert hatte (was mir zustand, nebenbei bemerkt), woraufhin er natürlich Geld forderte, welches ich ihm nie gegeben habe.

Hier gab es nur noch einen der gewinnen konnte. Was die Machtspielchen anging, muss ich sagen, dass wir uns mit dem Gewinnen und Verlieren eine ganze Weile abwechselten. In dieser Phase schaffte ich es zwischenzeitlich dann sogar mal einen Waffenstillstand herbeizuführen, indem ich an seine Vernunft appellierte, bzw. an unsere. Ich fühlte mich durch den ganzen Groll und die Wut so ausgelaugt. Ich mochte mich selbst nicht mehr und hatte es so satt, so verbittert zu sein. Er heizte die Stimmung bei mir durch seine überhebliche Gleichgültigkeit, die er mir demonstrierte, natürlich enorm an. Insofern hielt der Frieden nie lang. Wir gingen immer mal wieder eine Stufe zurück und wieder eine nach vorn und betraten schließlich auch die dritte Phase, die in der es nur noch Verlierer geben konnte – Lose-Lose.

Stufe 7 – Begrenzte Vernichtung:
Jetzt fingen wir an, mit irgendwelchen Tricks dem anderen zu schaden. Dabei sahen wir selbst den begrenzten eigenen Schaden schon als Gewinn dem anderen gegenüber. Es kam dazu, dass wir in letzter Minute noch die Küche aus der alten Wohnung abbauen und transportieren mussten. Er brachte seine Neue natürlich zum Helfen mit und demütigte mich damit, dass wir zu dritt die Fahrt im Transporter ausstehen mussten. Also lud ich mir zum helfen eben auch einen „Neuen“ ein, um ihn damit zu demütigen. Im Allgemeinen ging es mir damit zwar nicht besser…aber es war immer noch besser, als das tatenlos auf mir sitzen zu lassen. Zudem hatte ich mit der Küche dann wieder die Macht über das Geld, da ich mich um den Verkauf kümmerte. Und als sie für deutlich weniger als erwartet wegging, erfreute ich mich daran, dass ich ihm von dem Geld noch viel weniger abgab. Schon ziemlich krank sowas. Er sagte dann mal zu mir, dass man emotionalen Schaden doch nicht mit Geld aufwiegen könnte. Nein, kann man auch nicht. Aber ich hatte einen wirklich starken inneren Wunsch, ihn irgendwo zu treffen, wo es ihm zumindest ein bisschen weh tat, weil ich mir anders auch nicht mehr zu helfen wusste. Ich brauchte einfach ein bisschen Macht über ihn.

Stufe 8 – Zersplitterung:
Auf der vorletzten Stufe geht es eigentlich nur noch darum, den anderen mit gezielten Vernichtungsaktionen zu zerstören, ungeachtet der eigenen Verluste. Ich muss sagen, dass ich dazu mehrere Male ziemlich viel Lust hatte. Ich hätte ihm auch manchmal gern körperliche Gewalt angetan. Aber dazu bin ich dann doch ein viel zu guter, friedliebender Mensch. Und ich glaube, selbst wenn es mich in dem Moment irgendwie befriedigt hätte, hätte es mir trotzdem nicht geholfen und mir nicht die komplette innerer Befriedigung geben können, die ich mir erhofft hatte. Insofern freue ich mich, dass ich mich nicht auf ein so tiefes Niveau begeben und irgendwann die Füße still gehalten habe. Stattdessen habe ich dafür gesorgt, dass er mich nicht mehr kontaktieren kann und mir damit wohl selbst den größten Gefallen getan.

Stufe 9 – Gemeinsam in den Abgrund:
In dem Rollenspiel aus dem Seminar sah Stufe 9 so aus, dass die Frau in der Psychiatrie war und der Mann im Knast. Die beiden hatten es wirklich geschafft, durch blinden Hass alles zu verlieren. Ich bin froh, dass wir es niemals haben soweit kommen lassen.

Ja, es gibt immer noch eine Menge offene Wunden und ich trage viel Narben mit mir, die mich prägen, mich und mein Leben verändert haben. Ich habe noch immer den Drang über alles zu reden. Ich bin damit einfach noch nicht fertig. Aber ich bin dennoch glücklich – ohne ihn – und ich bin auf einem guten Weg. Ich stürzte mich in neue Abenteuer. Manchmal denke ich noch zurück, manchmal bin ich auch traurig oder wütend. Aber es wird von Tag zu Tag besser. Gut, dass wir niemals die komplette Eskalation erreicht haben.
Womit eindeutig bewiesen wurde, dass dieses Modell durchaus Anwendung finden kann und dass sowas wirklich passiert. Das ist Leben!

Ein Gedanke zu “Die Eskalation

  1. Hallo Elli, hast du Lust mit mir ein Eizelchoaching zu machen? Ich brauche für meine Supervisionsanerkennung noch einen „EinzelFall“ und ich würde total gern mit dir über deine tollen Themen sprechen. Melde dich mal bei mir. Wenn du dich nicht meldest, gehe ich davon aus, dass du nicht willst und dann nerve ich dich nicht weiter. Ganz liebe Grüße, Annett.

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