Trauma Träume

Seit mehr als 25 Jahren träume ich in unregelmäßigen Abständen den gleichen Traum. Das Grundmotiv ist Verfolgung. Meistens befinde ich mich in vertrauter oder vermeintlich vertrauter Umgebung mit Menschen, die ich kenne. Und irgendwann taucht eine bestimmte Person auf, die mich verfolgt. Es beginnt eine wilde Hetzjagd, bei der ich verzweifelt, nach einer wirklich vertrauten Person suche, die mich hält, auffängt und beschützt. Im Traum finde ich diese Person nie. Manchmal versuche ich mich auch gegen meinen Verfolger zu stellen. Versuche, ihm zu sagen, dass er gehen soll, dass er mich in Ruhe lassen soll. Manchmal bin ich selbst die Verfolgte, manchmal stehe ich daneben und sehe zu. Einmal ist es mir bisher gelungen, noch direkt im Traum die Kontrolle zu übernehmen. In der Nacht war ich nicht die Betroffene, sondern die Außenstehende. Ich war die Person, die ich brauchte, die Person, die ich seit Jahren verzweifelt suche. Ich habe in der Nacht meinen Peiniger erschossen und die kleine Elli danach in den Arm genommen und getröstet.
Das war eine der anstrengendsten Nächte meines Lebens.

Dieser Traum hat sich schon so oft wiederholt und doch ist er immer wieder anders. Die Handlung ist anders. Die Szenen sind anderes, die Menschen und Figuren sind anders, aber er weckt immer und immer wieder da gleiche Trauma. Es geht um sexuellen Missbrauch, in meiner Kindheit. Es geht um Schutzlosigkeit. Es geht darum, dass die, die es hätten sein sollen, nicht für mich da waren. Die haben mich nicht beschützt.

Diese Träume sind so realistisch, so brutal und angsteinflößend. Wenn ich aus ihnen erwache, ist mir schlecht, ich zittere, mein Herz rast. Es dauert, bis ich mich wieder beruhigen kann. Mein Unterbewusstsein macht mir immer wieder klar, dass da noch etwas ist. Ich bin damit noch nicht fertig. Ich brauche da noch mehr.

Ein Rat meines Therapeuten für die akute Situation lautet, dem Traum ein gutes Ende zu geben. Heißt, wenn ich aufwache, mich nicht der Angst und dem Schmerz hinzugeben, sondern noch kurz drin zu bleiben, die Kontrolle mit meinen Gedanken zu übernehmen. Das kann man nicht nur mit Träumen machen, das geht auch mit Gedankenspiralen, die einen fesseln. Ich katastrophisere ja gern, da kann man diesen Trick auch anwenden. Es hilft, schneller ruhig zu werden und wieder in der Realität anzukommen. Sich darüber klar zu werden, dass realistisch gerade keine akute Gefahr besteht.

Auch letzte Nacht hatte ich wieder einen realistischen Traum, in dem sämtliche Traumata getriggert wurden. Als hätte mein Unterbewusstsein eine Bestellung losgeschickt: einmal alle Trigger, die wir haben, bitte!
Es ging um Freundschaften, Unbeschwertheit, Feiern, Trinken, Körpergefühl, Essen, Einsamkeit, Verlustangst, (Ur-)Vertrauen, Verfolgung, Kontrolle, Unsicherheit, Missbrauch und den Wunsch nach Schutz und Geborgenheit. Im Traum selbst war ich so hilflos. Ich wollte schreien, mich wehren, meinen Verfolgern die Stirn bieten. Doch ich konnte nicht. Etwas hielt mich zurück. Falsche Scham, Angst, Konventionen… Das zeiht sich durch und überträgt sich auch auf andere Lebensbereiche.
Außerdem habe ich nach einer bestimmten Person gebucht, der ich im wahren Leben sehr vertraue, die ich aber im Traum plötzlich nicht mehr finden konnte und alle anderen anwesenden Personen waren fremd oder bedrohlich.

Immerhin konnte ich nach dem Aufwachen meine Gedanken schnell sortieren, dem Traum das „Happy End“ geben, das er brauchte und mich von dem eben „Erlebten“ relativ schnell distanzieren.

Ich persönlich glaube, dass jeder Traum, egal ob gut oder schlecht, eine Bedeutung hat und dass es Dinge aus dem Unterbewusstsein sind, die zu uns durchdringen wollen. Nicht umsonst sagt man, dass die Traumphase wichtig ist für das Lernen und Verarbeiten. Wer kifft oder trinkt, wird das weniger oft erleben. Es ist nachwiesen, dass man dann weniger träumt. Den Zusammenhang mit Träumen Verarbeiten, Lernen und Konsumieren habe ich ja schon mal erläutert.

Ich hatte diese Träume auch in meiner Trinkerinnen-Zeit. Ich habe darüber kein Protokoll geführt, wann sie kamen, ob ich da gerade viel oder weniger getrunken hatte. Spannend zu wissen wäre es allerdings. Soweit ich mich erinnere, waren sie damals viel blutiger und brutaler als heute. Das werte ich mal als Entwicklung.

Manchmal frage ich mich, ob sie irgendwann wirklich aufhören, diese Träume. Oder, was passieren muss, damit sie aufhören… Vermutlich muss dieses „Zur Wehr setzen“ auch in der Realität einmal stattfinden. Und tatsächlich wird sich in der Hinsicht vielleicht bald was tun.
Ich denke, das ist auch der Grund, weshalb ich mich intensiv und öffentlich damit auseinandersetze. Ich hab keine Lust mehr, immer stillen Kämmerchen, in meinen Träumen und allein in mir drin zu leiden. Die Tatsache, dass ich mit dem Schmerz und dem Leid rausgehe, dass ich es erzähle und nicht darüber schweige ist auch eine Form des Wehrens. Das fühlt sich gut und stark an. Das gibt mir in gewisser Weise Kontrolle.
Und wer weiß, eventuell helfe ich damit nicht nur mir selbst, sondern auch anderen Betroffenen.